Das Ende der Corona-Pandemie ist noch nicht in Sicht. Bis Herbst und Winter werden die Fallzahlen voraussichtlich wieder deutlich steigen. Aber wie stark? Und wie schlimm wird die dann vorherrschende Virus-Variante sein? Wird es noch einmal zu vielen Schwerkranken und Toten kommen? Oder können die Impfungen das verhindern? Was Expertinnen und Experten erwarten.
Virologe Trilling: Corona-Zahlen werden wieder steigen
Professor Mirko Trilling, Virologe
"Man muss kein Prophet sein, um zu sagen - was ich befürchte -, dass die Zahlen wieder steigen werden", sagte Virologe Mirko Trilling von der Uniklinik Essen mit Blick auf die Corona-Fallzahlen dem WDR.
Ein Grund dafür: Es seien immer noch zu wenige Menschen geimpft, so Trilling. Ein weiterer Grund: "Wir zwingen das Virus, sich an unser Immunsystem anzupassen. Aber gerade dadurch kriegt es die Fähigkeit, sich sehr schnell auszubreiten. Ich befürchte, dass wir das im Winter auch weiter sehen werden."
Virologin Protzer: Das ist jeden Herbst so
"Das ist einfach jeden Herbst so, dass die Corona-Viren zurückkehren", hatte die Münchner Virologin Ulrike Protzer schon im Mai dem Bayerischen Rundfunk gesagt. "Warum sollte es mit dem Sars-Coronavirus-2 anders sein?"
Virologe Ludwig: Coronavirus hat "hohe Saisonalität"
So sieht es auch der Münsteraner Virologe Stephan Ludwig: "Die vergangenen zwei Jahre haben uns gezeigt, dass das Coronavirus eine hohe Saisonalität hat, also im Herbst und Winter stärker auftritt", sagte er vor einer Influenza-Tagung Anfang September an der Uni Münster.
"Die Schwere der Verläufe und die Belastung der Intensivstationen hängen davon ab, wie gut der Immunschutz gegen die dann vorherrschende Variante in der Bevölkerung ist", so Ludwig. Zur Bekämpfung würden die neuen, an die Omikron-Variante angepassten Impfstoffe "einen guten Beitrag" leisten. Darüber hinaus sollte man in Eigenverantwortung immer dann eine Maske tragen, wenn es nötig ist.
Minister Lauterbach: "Schwieriger" Corona-Herbst
"Wir werden einen schwierigen Herbst haben", prophezeite auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit Blick auf die Corona-Lage vor einigen Wochen dem WDR. Die Bürgerinnen und Bürger bräuchten dann "eine wirklich gute Armada von Schutzmöglichkeiten".
Solche Schutzmöglichkeiten soll unter anderem das geplante, neue Infektionsschutzgesetz bieten, das Anfang Oktober in Kraft treten soll.
Forscher-Team der TU Berlin: Das bringen die geplanten Regeln
Welchen Effekt werden die neuen Corona-Regeln haben? Das untersuchte das Forscherteam um Mobilitätswissenschaftler Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin für seinen neuesten Modus-Covid-Bericht vom 9. August.
Zu den analysierten Maßnahmen gehören das Masken-Tragen bei der Arbeit, im Bildungs- und Freizeitbereich sowie bei Erledigungen, außerdem das Testen und Lüften im Bildungsbereich sowie Homeoffice und eine Impfkampagne.
Das Fazit: "Im besten Fall reicht die Kombination der genannten Maßnahmen 'gerade so' aus, um die Welle in dem simulierten Szenario zu brechen, also ihren R-Wert unter 1 zu senken", heißt es in dem Bericht.
Zu dem positiven Ergebnis komme man aber nur, "wenn sehr optimistische bzw. teilweise unrealistisch optimistische Annahmen über die Durchführung mancher Maßnahmen getroffen werden", wie die Forscherinnen und Forscher schreiben. Voraussetzung sei auch, dass sich im Herbst und Winter nicht eine Corona-Variante mit einer deutlich größeren Krankheitsschwere als Omikron durchsetze. Dann seien nämlich noch weitergehende Schutzmaßnahmen nötig, um die Welle zu brechen.
Wie stark Corona im Herbst und Winter zurückkommt, hängt also entscheidend davon ab, welche Virus-Variante dann dominiert. Das Forscherteam rechnet mit drei möglichen Szenarien:
- "Eher günstiges" Szenario: Es bleibt bei den aktuellen Virus-Varianten.
- "Mittleres" Szenario: Es gibt eine Immunflucht-Variante mit der gleichen Krankheitsschwere wie Omikron BA.5.
- "Eher ungünstiges" Szenario: Es gibt eine Immunflucht-Variante mit erhöhter Krankheitsschwere.
Im Falle von Szenario 3 ergebe sich "eine deutlich höhere, und damit möglicherweise katastrophale Krankenhausbelastung", schrieben die Forscherinnen und Forscher in ihrem Bericht vom 28. Juni.
Ähnlich skizzierte der Corona-Expertenrat der Bundesregierung im Juni seine drei Szenarien für Herbst und Winter. Mehr dazu unter diesem Link:
Bioinformatiker Kaderali: Belastungen für Infrastruktur
Expertenrat-Mitglied und Bioinformatiker Lars Kaderali warnte schon im Juni mit Blick auf die kalte Jahreszeit, dass sich durch einen hohen Krankenstand auch Belastungen für die sogenannte kritische Infrastruktur ergeben könnten. Dazu zählen etwa Polizei, Feuerwehr, Kliniken und Wasserwerke sowie Energieversorger.
Weniger wahrscheinlich sei, dass die Intensivstationen erneut an ihre Belastungsgrenzen stoßen werden, so Kaderali weiter. "Auch das ist nicht auszuschließen, aber die Wahrscheinlichkeit ist geringer."
Epidemiologe Ulrichs: "Mit allen Konsequenzen"
Epidemiologe Timo Ulrichs schließt einen heftigen Corona-Herbst ebenfalls nicht aus. "Das heißt, dass wir noch stark steigende Neuinfizierten-Zahlen haben werden - mit allen Konsequenzen, also auch mit gestiegenen Hospitalisierungsraten und auch Todesfällen", sagte er im Juni dem WDR. Es sei "eher unwahrscheinlich, dass die Herbstwelle nicht stark wird", so Ulrichs Ende Juli gegenüber der "Welt".
Virologe Drosten: im September "sehr hohe Fallzahlen"
Virologe Christian Drosten, ebenfalls Mitglied des Corona-Expertenrates der Bundesregierung, erwartet schon im September wieder "sehr hohe Fallzahlen" und damit einhergehend wieder mehr Schwerkranke und Tote, wie er im Juni dem "Spiegel" sagte. Seine Prognose: "Ich glaube nicht mehr, dass wir Ende des Jahres den Eindruck haben werden, die Pandemie sei vorbei."
Über dieses Thema berichteten am 28.06.2022 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen und am 04.08.2022 das "Morgenecho" bei WDR5.