Krank sein muss man sich auch leisten können 03:19 Min. Verfügbar bis 06.12.2026

Ein Jahr telefonische Krankschreibung: Lob - und Privatdetektive

Stand: 06.12.2024, 18:06 Uhr

Für Hausärzte ist die telefonische Krankschreibung eine Erleichterung. Arbeitgeber aber sind teils misstrauisch - und heuern sogar Detektive an.

Von Nina Magoley

Seit einem Jahr ist es wieder möglich: Wer leicht erkrankt ist - zum Beispiel mit einer Erkältung - kann sich vom Hausarzt per Telefon eine Krankschreibung holen. Der Gang in die Praxis ist dann nicht mehr nötig.

Bei Ärzten kommt diese Regelung gut an: "Sie spart ganz viel Bürokratie, ganz viel Arbeit, und die Menschen müssen sich nicht krank in die Praxis schleppen", sagte Markus Beier, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, dem WDR am Freitag. Zudem gelte diese Möglichkeit nur für der Praxis bekannte Patienten, nur bei leichten Erkrankungen und nur für maximal fünf Tage.

Ärzteverband lobt telefonische Krankschreibung WDR 5 Morgenecho - Interview 06.12.2024 04:51 Min. Verfügbar bis 06.12.2025 WDR 5

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Auch Patienten nutzten die Möglichkeit im vergangenen Jahr reichlich. Beschäftigte meldeten sich 2023 sogar etwas öfter krank als im Jahr davor. Und öfter auch nur für wenige Tage. Das geht aus dem Gesundheitsreport 2024 des BKK-Dachverbands hervor, der am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Demnach seien überdurchschnittlich viele Krankmeldungen aufgrund von Atemwegsinfekten ausgestellt worden. Wie viele davon per Telefon geschahen, sagt der BKK-Bericht nicht. Dennoch gibt es Misstrauen gegenüber Patienten, die diese Möglichkeit nutzen.

Lindner schürte Verdacht gegen Patienten

Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte schon im September für Empörung gesorgt mit der Behauptung, dass es eine "Korrelation zwischen dem jährlichen Krankenstand in Deutschland und der Einführung der Maßnahme" gebe. Lindner, so kam es bei vielen an, suggerierte damit, dass Menschen sich so freie Tage verschaffen wollen, obwohl sie gar nicht krank sind.

Die Diskussion sei "faktenfrei" und schüre Misstrauen, kritisiert Hausarzt Beier im WDR-Interview. Alle wissenschaftlichen Auswertungen hätten gezeigt, dass es nicht durch die neue Regelung zu einer Erhöhung der Krankmeldungen kam.

Auch Nicolas Ziebarth, Gesundheitsökonom am Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung, sieht das so. Man habe sich "viele Daten angeschaut, aber kein Muster feststellen können", sagte er dem WDR. Natürlich sei es einfacher geworden, sich krankschreiben zu lassen. Aber: Wer sich partout freie Tage ermogeln wolle, der könne auch dem Arzt persönlich gegenüber lügen.

Ein Jahr telefonische Krankschreibung WDR 5 Mittagsecho 06.12.2024 08:55 Min. Verfügbar bis 06.12.2025 WDR 5

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Tesla-Chefs klingeln bei Mitarbeitern an

Tesla-Werk in Brandenburg | Bildquelle: dpa / Jens Kalaene

Dennoch: Viele Arbeitgeber macht die neue Regelung offenbar misstrauisch. Im September berichtete das Handelsblatt, dass Tesla in seinem Werk in Brandenburg krankgeschriebene Mitarbeiter kontrolliere. Demzufolge hätten die zwei Geschäftsführer persönlich an deren Haustüren angeklingelt, um zu prüfen, wie krank die Mitarbeiter wirklich seien.

Gerade für kleinere Betriebe kann es zum echten Problem werden, wenn plötzlich auch nur eine Arbeitskraft fehlt. In der Handwerksbranche beispielsweise wird immer wieder über den Einsatz von Detektiven diskutiert, die dem blaumachenden Mitarbeiter auf die Schliche kommen sollen.

Hürden für Detektive hoch

Zahlreiche Detekteien bieten im Internet ihre Dienste dafür an. Doch die Hürden sind hoch. Laut Bundesdatenschutzgesetz stellt die heimliche Observation einer Person einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar.

"Wir haben unsere Mittel und Wege, wie wir freiwillig in die Wohnung eingelassen werden", erzählte der Berliner Privatdetektiv Markus Lentz freimütig in einem Interview im RBB. Außerdem könne man den verdächtigten Arbeitnehmer im öffentlichen Raum beobachten: Wenn die observierte Person in den Baumarkt fahre, anschließend schwere Pakete in die Wohnung schleppe und wenig später Handwerkergeräusche zu hören seien - "dann ist das schon recht eindeutig".

Beschatteter Arbeitnehmer klagte gegen Chef

Über einen ähnlichen klingenden Fall entschied im Juli das Bundesarbeitsgericht. Ein Arbeitnehmer hatte gegen die Observation durch seinen Arbeitgeber geklagt: Nach einem Unfall war der Mann krankgeschrieben. Sein Chef aber war argwöhnisch. Als er den Mitarbeiter auf Social-Media-Bildern bei körperlichen Aktivitäten sah, engagierte er einen Privatdetektiv - der den Mann daraufhin fast zwei Wochen lang heimlich beobachtete.

Observation heißt oft stundenlanges Warten | Bildquelle: WDR/Modrow

Er sah dabei, wie der Krankgeschriebene auf seiner Terrasse unter anderem mit Sägen und Schleifgeräten Holzbretter bearbeitete. Außerdem beobachtete er ihn beim Ausbauen einer Autobatterie und sah zu, wie er einen mit Lebensmitteln gefüllten Karton ins Haus schleppte. Allerdings dokumentierte der Detektiv auch, dass der Mann dabei sein Bein nachzog. Laut Gerichtsurteil suchte der Detektiv sogar die Hausarztpraxis des Mannes auf.

Arbeitgeber musste zahlen

Der Arbeitgeber konfrontierte seinen Mitarbeiter mit den Beobachtungen, der wiederum erhob Klage gegen den Chef. Das Gericht gab ihm Recht: Er habe einen "Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten" erlitten, die Observation sei rechtswidrig gewesen. Der Arbeitgeber musste 1.500 Euro Schadenersatz zahlen, außerdem die Prozesskosten.

Ohne einen handfesten Verdacht dürfe er niemanden beschatten, sagt Detektiv Lentz. Jeder Mandant müsse "auf erstes Befragen schlüssig nachvollziehbar" darlegen können, dass er "ein klares, berechtigtes Interesse" habe, den Mitarbeiter zu beschatten - und das schriftlich bestätigen.

Voraussetzung können zum Beispiel eindeutige Fotos auf Social Media sein, die den Angestellten trotz Krankmeldung bei einer Freizeitaktivität zeigen, etwa beim Shoppen.

Hausarzt: "Totale Geisterdiskussion"

Das Ganze sei eine "totale Geisterdiskussion", findet Markus Beier vom Hausärzteverband. Dass die Zahl der Krankmeldungen gestiegen sei, liege vielmehr daran, dass Arztpraxen Krankschreibungen seit Juli 2022 elektronisch an die Kassen übermitteln. Bis dahin mussten Patienten selber den "gelben" Schein bei ihrer Krankenkasse einreichen. Bei vielen sei der Durchschlag aber stattdessen zuhause liegen geblieben, sagt Beier. Jetzt komme er ganz sicher an.

Quellen:

  • Interview Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands
  • Gesundheitsreport 2024 des BKK-Dachverbands
  • Interview Nicolas Ziebarth, Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung
  • Handelsblatt
  • Radiointerview RBB
  • Urteil Bundesarbeitsgericht