Rufe der Mutter werden über Lautsprecher in die Straßen Weilburgs übertragen. Bunte Luftballons hängen an einer Brücke über der Lahn, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit des Kindes zu bekommen: Doch von dem seit Dienstagmittag im mittelhessischen Weilburg vermissten sechsjährigen Pawlos fehlt weiter jede Spur. Mit einem Großaufgebot von Polizeihubschraubern, 33 Rettungshunden, Wasserschutzpolizei und Reiterstaffeln setzten die rund 300 Einsatzkräfte ihre Suche nach dem Jungen fort.
Den Jungen auf keinen Fall direkt ansprechen
Nach offiziellen Angaben der Polizei ist das Kind "autistisch veranlagt" und befindet sich vermutlich in einer hilflosen Lage. Der Sechsjährige sei räumlich nicht orientiert, sagte ein Polizeisprecher. Es sei ratsam, ihn nicht direkt anzusprechen, weil ihn das verschrecken könne. Der Junge werde wahrscheinlich weglaufen oder sich verstecken. Stattdessen solle der Notruf gewählt werden, wenn er gesehen werde.
Der Hintergrund: Autismus fuße in der "Wahrnehmungsverarbeitung", sagt Autismustherapeut Sebastian Noethlichs dem WDR. Die könne bei Pawlos "natürlich auch verzögert sein, besonders auch im Hinblick auf seine aktuelle Situation: Wenn er gerade Angst hat, wenn er abgelenkt ist, was auch immer gerade er wahrnimmt und erlebt, kann es sein, dass er vielleicht gar nicht sofort reagiert", sagt Noethlichs.
Autistischer Junge seit Dienstag vermisst
Pawlos hatte am Dienstagmittag seine Schule in Weilburg verlassen. Noch in Hausschuhen soll er sich auf den Weg über eine Bundesstraße entlang bis zum Bahnhof gemacht haben. Dort wurde er noch einmal kurz gesehen, danach verliert sich seine Spur. An dem Tag waren bereits ein Hubschrauber, ein Boot der Wasserschutzpolizei, Rettungshunde und insgesamt 600 Kräfte im Einsatz - auch über Nacht.
Viele Bürger und Einsatzkräfte beteiligen sich an Suche
In der 13.000-Einwohner-Kleinstadt und darüber hinaus löst der Fall eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Tausendfach wird ein Suchaufruf des Bürgermeisters in sozialen Netzwerken geteilt. Sehr viele Hinweise gehen ein, denen allen nachgegangen werde, wie es von der Polizei heißt. Mit Taschenlampen machten sich zahlreiche Menschen schon am Abend seines Verschwindens auf die Suche nach dem Sechsjährigen. Ein Zeuge will den Jungen am Bahnhof im 20 Kilometer entfernten Limburg gesehen haben. So wird die Suche noch komplizierter. Für mögliche Hinweise sei ein Telefon geschaltet worden.
Laut Polizei liegt wohl kein Kriminalfall vor
Man gehe weiterhin nicht von einer Straftat aus, da es Hinweise gebe, dass das Kind eigenständig das Schulgelände verlassen habe, sagte ein Polizeisprecher. Immer wieder kommt es zu Suchaktionen nach Menschen mit Autismus. Anfang März wurde ein junger Mann in Steinfurt vermisst, Anfang Januar ein 24-Jähriger in Minden-Lübbecke. Manche Menschen mit Autismus können sich außerhalb ihres gewohnten Umfelds nicht orientieren. Auch auf eine Ansprache von Fremden reagieren sie dann vermutlich nicht.
2024 sorgte die Suche nach dem sechsjährigen Arian deutschlandweit für viel Anteilnahme.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa
- WDR-Interview mit Autismustherapeut Sebastian Noethlichs