Union und SPD haben sich nur neun Tage nach der Bundestagswahl auf ein riesiges Finanzpaket verständigt. Der angehende Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil zauberten das sogenannte "Sondervermögen Infrastruktur" aus dem Hut, das langfristig auf zehn Jahre angelegt ist.
100 Milliarden der 500 Milliarden Euro sollen den Ländern zur Verfügung gestellt werden, sagte Klingbeil. Das Geld könne für das Verkehrs- und Energienetz, Krankenhäuser, Bildungs-, Betreuungs- und Wissenschaftseinrichtungen sowie zur Digitalisierung verwendet werden. Außerdem sieht die Einigung vor, dass alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei der Berechnung der Schuldenbremse ausgenommen werden. Das bedeutet auch freie Fahrt für neue Verteidigungsausgaben.
Mit dem Sondervermögen wird die Schuldenbremse offiziell eingehalten. Dennoch werden natürlich in der Realität Schulden gemacht. Woher kommt dieses Geld? Müssen wir es zurückzahlen? Und halten Experten die Investition für sinnvoll?
Was ist ein "Sondervermögen"?
"Ein Sondervermögen ist ein kreditermächtigter staatlicher Fonds, aus dem Ausgaben für bestimmte Zwecke getätigt werden und zwar außerhalb des Kernhaushaltes des Bundes", erklärt Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).
"Sondervermögen werden nicht über den regulären Haushalt finanziert. Sie werden getrennt betrachtet und sind zweckgebunden", sagt Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die Ausgaben sind also nicht durch den Haushalt gedeckt.
Wo kommt das Geld her? Wird das jetzt gedruckt?
Der Staat nimmt tatsächlich neue Schulden auf - trotz Schuldenbremse. Und woher kommt das Geld nun? "Das Geld nimmt der Staat über die Ausgabe von Anleihen am Kapitalmarkt ein. Größtenteils werden diese Anleihen von institutionellen Investoren wie privaten Pensionskassen und Kreditinstituten gekauft. Private Anleger spielen hingegen nur eine untergeordnete Rolle im Gesamtvolumen", so Beznoska zum WDR.
Muss das Geld wirklich die kommende Generation zurückzahlen?
Über dem Schuldenbremsen-Streit ist am Ende die Ampelkoalition zerbrochen. Die FDP beharrte auf ihre Einhaltung, damit die nachfolgenden Generationen nicht unter einer übergroßen Schuldenlast leiden sollten. Was bedeutet das 500-Milliarden-Paket nun für die Gesellschaft? Wirtschafts-Experte Beznoska sieht beide Seiten der Medaille: "Die aktuelle und die kommende Generation müssen die Zinsen für die Schulden zahlen. Außerdem wird der Handlungsspielraum, neue kreditfinanzierte Projekte durchzuführen, in Zukunft eventuell eingeschränkt sein", erklärt er.
Nils Redeker, stellvertretender Direktor des Jacques-Delors-Centre in Berlin betont im Gespräch mit dem WDR, dass das Geld schon zurückgezahlt werden müsse. Das werde aber in einem zweiten Schritt gesetzlich geregelt. "Da braucht es einen gesetzlichen Tilgungsplan", sagt er.
Ist das Investment nun positiv zu bewerten?
"Dass der Staat nun Geld in die Hand nimmt, macht jede Menge Sinn", ist sich Redeker sicher. Es gebe nun für die Unternehmen eine langfristige Planungssicherheit. Der Staat investiere ja nun. Aber: "Wie groß die Wachstumseffekte sein werden, hängt davon ab, wie dieses Geld ausgegeben wird. Sie müssen es gut machen", appelliert er an die Politik. Es gebe durch das Paket ein großes Wachstumspotenzial, "die Gesamtkraft der Volkswirtschaft kann langfristig angehoben werden. Investitionen in Brücken, Schiene und Energie können positive Effekte haben", so Redeker. Deutschland müsse die strukturelle Wachstumkrise bekämpfen. "Wir sind seit 2019 nicht mehr wirklich gewachsen", sagt er. Da könne das Paket helfen.
Die kommenden Generationen profitieren auch, wenn das Geld für eine bessere Infrastruktur ausgegeben wird oder die Wehrfähigkeit des Landes verbessert wurde. Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft, Köln
Das heißt: Durch das Sondervermögen kann der Staat höhere Steuereinnahmen erzielen und Bewegung in den Arbeitsmarkt bringen. Davon würden alle profitieren.
Wo liegen die Probleme bei einem Sondervermögen?
"Wenn die Kapazitäten nicht ausreichen, um die gewünschten Projekte der Sondervermögen umzusetzen, könnte dies zu höheren Preisen z.B. im Bau oder zu höheren Arbeitskosten führen. Darunter können auch die privaten Haushalte leiden, wenn sich diese höheren Preise auch in die Verbraucherpreise übersetzen. Auch könnte die Kreditaufnahme zu höheren Zinsen führen und den Staat und die Wirtschaft somit belasten", erklärt Beznoska.
Auch DIW-Chef Fratzscher sieht Risiken bei dem geplanten Sondervermögen: "Ein Problem der Sondervermögen ist auch ihre mangelnde Transparenz. Sie geben der Bundesregierung weitreichende Entscheidungsbefugnisse darüber, wann und wie sie Ausgaben tätigt, ohne dass diese – wie im regulären Haushalt – einer detaillierten Kontrolle durch das Parlament unterliegen", so Fratzscher, der auch ein Kapazitätsproblem sieht: "Viele öffentliche Einrichtungen verfügen nicht über die notwendigen Kapazitäten und Kompetenzen, um große Infrastrukturprojekte effizient umzusetzen. Auch in der Privatwirtschaft sind die Kapazitäten begrenzt." Spätestens hier berührt der Investitionsplan das Thema Fachkräftemangel und Migration.
Der ehemalige Wirtschaftsweise Lars Feld warnte auf dem Kurznachrichtendienst X: "Deutschland verliert seine Funktion als sicherer Hafen für Anleihegläubiger. Zinsen und Inflation werden davon nicht unberührt bleiben." Die meisten Experten sehen das Paket aber positiv.
Schulden - eine 180-Grad-Kehre von Merz?
Der angehende Kanzler Merz betonte im Wahlkampf immer wieder, dass die Schuldenbremse ein wichtiges Instrument sei. Nun geht das 500-Milliarden-Paket an der Schuldenbremse vorbei. Besonders die Grünen und die FDP kritisieren Merz für seine Volte. Die FDP vermutet gar, er habe sich von der SPD über den "Tisch ziehen lassen", so Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Und die Grünen fordern eine Entschuldigung für das jahrelange Infragestellen des riesigen Finanzbedarfs des deutschen Staates.
"Es ist eine Kehre von Merz, die allerdings zu erwarten war. Der Finanzbedarf bei der Bundeswehr ist sehr hoch und im aktuellen Bundeshaushalt klafft bereits auch so ein großes Milliardenloch. Weitere Wunschprojekte der Union wie Steuererleichterungen für die Wirtschaft wären somit auch nicht möglich gewesen, da die Schuldenbremse diese unterbinden würde", analysiert Beznoska.
Das sieht Redeker ähnlich. "Den allermeisten Leute war klar, dass irgendwas mit der Schuldenbremse wird passieren müssen. Aber tatsächlich entspricht das nicht dem, mit was die CDU in den Wahlkampf gezogen ist." Man müsse aber auch sehen, dass eine Menge passiert sei, die "Weltlage dreht sich stark, der Handlungsdruck ist gewachsen", so Redeker.
Fratzscher findet es "positiv, dass die künftige Bundesregierung die Investitionslücke in Deutschland angehen will". Die Sondervermögen dürften jedoch nicht von anderen notwendigen Reformen ablenken – "insbesondere der Schuldenbremse und den strukturellen Defiziten staatlicher Institutionen, große Projekte effizient zu planen und umzusetzen."
Es gibt also viel Arbeit für die neue Bundesregierung. Ob das 500-Milliarden-Paket ein "Gamechanger" wird, wie es Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nannte, werden wir sehen. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), sieht Deutschland von heute auf morgen "wieder wirtschaftlich und militärisch handlungsfähig".
Unsere Quellen:
- Stellungnahme Martin Beznoska vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW)
- Stellungnahme Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin
- Gespräch mit Nils Redeker, stellvertretender Direktor des Jacques Delors Centre, Berlin
- Agenturen dpa, Reuters
Über dieses Thema berichtet der WDR am 05.03.2025 auch im Fernsehen, in der Aktuellen Stunde um 18.45 Uhr.