Als Lisa, Tom und die anderen, wie wir sie hier nennen, damals in Brasilien angeheuert wurden, hatten sie keine Ahnung. Man versprach ihnen mindestens dreimal so viel Gehalt und die Chance, in Europa zu leben – was damals sehr verlockend klang. Lisa verkaufte, was sie besaß und lieh sich Geld, um das Ticket nach Portugal zu bezahlen. In Portugal angekommen, bekamen sie alle eine Aufenthaltserlaubnis und konnten durch das Schengener Abkommen nach Deutschland einreisen. Ein Schlupfloch, was die Verantwortlichen anscheinend zu nutzen wussten.
Eine Taktik: Abschottung durch Isolation
In Deutschland angekommen, wurden alle im hinteren Anbau einer Dienstleistungsfirma in Leverkusen untergebracht. Isoliert, ohne wirklichen Anschluss an das gesellschaftliche Leben in Deutschland, sprachlich nur im eigenen Raum unterwegs. Von hier aus wurden alle Arbeiter und Arbeiterinnen dann immer zu verschiedenen Einsätzen geschickt, in ganz NRW: Reinigungsarbeiten in Büros in Köln, in Supermärkten in Lindlar, andere arbeiteten auf Baustellen in Düsseldorf.
Falsche Verträge, die Hälfte des Mindestlohns oder gar kein Geld
Für ihre Arbeit als Reinigungskraft bekamen Lisa und Tom zu Beginn sechs Euro pro Stunde. Nach einiger Zeit folgten Ausreden, irgendwann Wutausbrüche, warum kein Geld mehr gezahlt werden könne. Anderen wurden zwölf Euro versprochen, sie sahen keinen einzigen Cent. Lisa und Tom hatte man Verträge ausgestellt, die nicht dem deutschen Arbeitsrecht entsprachen. Doch woher sollten sie das wissen? Woher sich mit deutschen Gesetzen auskennen? Alle Verantwortlichen schwiegen dazu und ließen sie und alle anderen im Dunkeln.
"Das ist doch die Definition von Sklavenarbeit!", findet Tom, der das alles selbst erleben musste.
Einschätzung von Expertenseite
Genau diese Faktoren: Im Unwissen lassen, abkapseln, damit man sich nicht selbstständig macht und das gezielte Kreieren oder Ausnutzen einer Zwangslage, fällt unter anderem laut der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel in den Bereich der Arbeitsausbeutung und der Zwangsarbeit. Und eventuell sogar auf Menschenhandel.
Monatelange Spurensuche und immer mehr Betroffene
In Lisas und Toms Fall hat das nicht bis zum Ende geklappt. Sie konnten sich aus den Strukturen befreien, weil sie Kontakte hatten und Bezug zu Menschen, die sich mit dem deutschen System und seinen Rechten auskennen. Dass das so läuft, ist bei den wenigsten der Fall. Die Dunkelziffer von Ausgebeuteten ist laut BKA enorm hoch. Und auch die Arbeitsbereiche, in denen solche oder ähnliche Strukturen bei uns stattfinden, sind weitreichend. Ob Reinigungsbranche, Baugewerbe, Gastronomie oder Landwirtschaft: Unser Wohlstand basiert in einigen Bereichen auf Arbeitsausbeutung. Somit ist der Internationale Gedenktag an die Opfer von Sklaverei auch in NRW ein aktuelles Thema.
Unsere Quellen:
- WDR-Recherche/Reporterin vor Ort
- BMAS
- Bundesweite Koordinationsstelle für Menschenhandel
- Erik Möll, Anwalt für Arbeitsrecht
- BKA
Über dieses Thema berichtet der WDR auch in der ARD Mediathek