Fahrradstraßen als "Erziehungsmaßnahme" in Bonn
Stand: 08.07.2024, 20:46 Uhr
40 neue Fahrradstraßen richtet die Stadt Bonn in diesem Jahr ein. Hunderte Parkplätze fallen dadurch weg-zum Ärger vieler Anwohner. Doch nicht nur deshalb spaltet die Fahrradoffensive die Bonner Stadtgesellschaft, dabei könnte sie eine Blaupause für eine Annäherung sein.
Von Tobias Al Shomer
Seit 60 Jahren lebt Hans-Josef Hartmann in Bonn-Endenich. Früher sei die Röckumstraße ihr ‚Sunset Boulevard‘ gewesen, erinnert er sich. Weil der Sonnenuntergang immer so schön in der Flucht der Straße zu sehen gewesen sei. Doch seit in den letzten Wochen hier eine Fahrradstraße eingerichtet wurde, ist es für ihn nur noch die Papageien-Straße. "Schauen sie doch Mal, wie viele Farben es hier plötzlich auf der Straße gibt. Blau, Rot, Gelb, weiß", erklärt Hartmann.
Bevormundungspolitik?
Hans-Josef Hartmann auf der Fahrradstraße
Für ihn ist das mit den Fahrradstraßen Bevormundungspolitik. "Ich halte von dem Scheiß nichts. Die Grünen wollen uns erziehen. Demokratie kennen die nicht mehr. Mir stinkt es bis hier oben", erklärt er und deutet mit seiner Hand eine Linie unterhalb seines Kinns an. Er sei Rechtsanwalt, aber im Ruhestand. Sonst würde er die Stadt verklagen, grantelt er. In Bonn sind die Grünen stärkste Partei im Stadtrat und bilden mit SPD, Volt und der Linken eine Koalition.
Ganz anders sieht das Frank Stutzmann. Seit zehn Jahren fährt er hier Fahrrad, aber so schön wie die letzten Wochen sei es noch nie gewesen. Er findet das Konzept Fahrradstraße gut. Vor allem, dass Fahrradfahrer nebeneinander fahren dürfen. Auf anderen Verkehrsstraßen ist das nicht erlaubt. Da müssen die Fahrradfahrer sich dem Autoverkehr unterordnen. Auf Fahrradstraßen läuft es umgekehrt.
Erzwungene Erziehungsmaßnahme
Endlich müssten die Autofahrer Mal Rücksicht nehmen, freut sich Stutzmann. Wenn sie es denn tun. Doch heute machen das die Autofahrer, die ich beobachte. Hinter Fahrradfahrern gehen sie vom Gas, bremsen, lassen Fahrradfahrer passieren. Vielleicht liegt es an den dicken roten Markierungen an den Fahrbahnrändern. Es gilt Tempo 30.
Elena Fingerhut mit Hündin Suna
Auch Elena Fingerhut findet die Fahrradstraße gut. Sie geht hier mit ihrer Hündin Suna spazieren. Die ist erst 16 Monate alt, noch verspielt. Für sie ist es jetzt sicherer. Früher seien hier einige vollkommen rücksichtslos ganz eng an ihnen vorbeigefahren. Die Fahrradstraße sei jetzt auch eine erzwungene Rücksichtsmaßnahme.
Wohin mit den Autos?
Doch auf der Straße darf auf einer Seite jetzt gar nicht mehr geparkt werden. Wie viele Parkplätze hier weggefallen sind, ist unklar. Es sind aber einige und das in einer Straße, in der sich Mehrfamilienhaus an Mehrfamilienhaus reiht. Rentnerin Elena Kühl findet das nicht richtig. Die Stadt hätte garantieren müssen, dass die Anwohner die Parkplätze ersetzt bekommen. Irgendwo müssten die ihre Autos ja abstellen.
Radfahrer nutzen die Fahrradstraße
Eigentlich hatte die Stadt das auch zugesichert. Quartiersgaragen sollten den Parkplatz-Verlust kompensieren, doch bislang ist noch nichts passiert. Dabei hat der Stadtrat die Verwaltung schon Anfang 2023 beauftragt, ein Konzept zu entwickeln. So sollte die Stadt unter anderem mit Supermarkt-Betreibern verhandeln, ob die ihre Parkplätze in den Abendstunden und der Nacht zur Verfügung stellen. Doch auch nach eineinhalb Jahren gibt es hier noch keine Ergebnisse. Flächen für den Neubau von Parkhäusern sind ohnehin kaum verfügbar.
Keine Lösung in Sicht
Dabei wäre es wichtig, dass die Stadt dieses Versprechen einhält und die Anwohner nicht sich selbst überlässt. So ließe sich auch die Wut von Alteingesessenen wie Hans-Josef Hartmann lindern. Zum Ende meines Besuchs treffe ich ihn noch einmal, ausgerechnet auf dem Fahrrad auf der neuen Fahrradstraße. Er mag sie nicht, nutzt sie aber. Es scheint ein wenig so, dass die von ihm als Bevormundung empfundene erzwungene Erziehungsmaßnahme das Problem sei und nicht die Fahrradstraße.
Über dieses Thema berichtet der WDR am 08.07.2024 auch im Fernsehen in der WDR Lokalzeit aus Bonn.
Unsere Quellen:
- WDR-Reporter vor Ort
- Stadt Bonn