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Rekordhoch beim Krankenstand: Ursache für Rezession?
Stand: 26.01.2024, 15:48 Uhr
Nie zuvor haben sich so viele berufstätige Menschen krankgemeldet wie 2023. Laut dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen ist der rekordhohe Krankenstand sogar Grund für die aktuelle Rezession.
Von Nina Magoley
Mehrere Krankenkassen haben mittlerweile ihre Berichte für das vergangene Jahr veröffentlicht - alle kommen zum selben Ergebnis: Der Krankenstand unter versicherten Erwerbstätigen hat 2023 einen Rekordwert erreicht. An 20 Tagen fiel jede Erwerbsperson durchschnittlich wegen einer Erkrankung aus, teilte die Techniker Krankenkasse (TK) mit. Spitzenreiter der Bilanz war NRW: Hier waren es sogar 20,54 Tage, an denen Menschen einen Krankenschein vorlegten.
Schaut man auf die vergangenen Jahre, ist seit 2022 - dem zweiten Pandemiejahr - ein starker Anstieg der Krankmeldungen zu beobachten.
Hauptgrund für den massiven Anstieg seien Erkältungskrankheiten gewesen: grippale Infekte, Bronchitis oder Grippe. Mit durchschnittlich 5,11 Fehltagen machten sie ein Viertel der Ausfälle aus. 2022 waren es 5,75 Fehltage und 2019, vor der Coronapandemie, 2,37. Auf Platz zwei der häufigsten Gründe für eine Krankschreibung liegen psychische Erkrankungen mit durchschnittlich 3,6 Tagen je Erwerbsperson, gefolgt von Muskelskeletterkrankungen wie Rückenschmerzen mit 2,8 Fehltagen.
Krankmeldungen Grund für Rezession?
Alarmierend klang in diesem Zusammenhang die Meldung des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (VFA) am Freitagmorgen: Der rekordhohe Krankenstand im Jahr 2023 habe die deutsche Wirtschaft sogar in eine Rezession gedrückt. "Ohne die überdurchschnittlichen Krankentage wäre die deutsche Wirtschaft um knapp 0,5 Prozent gewachsen", heißt es in einer Veröffentlichung des VFA. Stattdessen sei die Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft. Ohne den hohen Krankenstand, so die Autoren der Studie, wären im Jahr 2023 etwa 26 Milliarden Euro zusätzlich erwirtschaftet worden.
Bauwirtschaft stagniert
Ganz so drastisch will Ökonom Nils Jannsen vom Kiel Institut für Weltwirtschaft es nicht sehen. Ein erhöhter Krankenstand habe sicherlich ein wichtigen Einfluss auf die Wirtschaftsleistung des Landes, sagt er. "Aber es gibt natürlich auch noch andere Gründe für die derzeitige Rezession": Der Ukrainekrieg, die Krise der Bauwirtschaft durch gestiegene Zinsen, auch eine "eingetrübte Unternehmenszuversicht", die dazu führe, dass Firmen wegen wirtschaftlicher Unsicherheit ihre Leistungen zurückfahren.
Kranke kaufen auch weniger ein
Jannsen hatte schon 2020 in einer Studie untersucht, welchen Einfluss ein erhöhter Krankenstand in der Arbeitswelt auf die Wirtschaftslage hat. Ergebnis: Besonders bei Industrieunternehmen könnten Personalengpässe kurzfristig zu einem starken Rückgang der Produktivität führen. Aber nicht nur das: Auch die Tatsache, dass erkrankte Menschen sich bei Freizeitaktivitäten zurückhalten oder weniger kaufen, könne die Konsumausgaben dämpfen und die Konjunktur beeinflussen.
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen hat ausgerechnet, dass dem Arbeitsmarkt durch Krankmeldungen insgesamt 350.000 Personen zu wenig zur Verfügung standen. Kompensieren müssten Unternehmer diese Lücke durch Überstunden oder, indem sie "an der Qualität schrauben", sagte Claus Michelsen vom VFA dem WDR. "Zum Beispiel, indem Gastronomen den Gast etwas länger aufs Essen warten lassen." Einige Unternehmen könnten Liefertermine nicht halten und müssten mit Vertragsstrafen rechnen.
Das ist der "Normalwert"
Bei all diesen Berechnungen stellt sich die Frage, von welchem Normalzustand bei den Krankmeldungen die Forscher eigentlich ausgehen, wenn sie sagen, dass die deutsche Wirtschaft 2023 bis zu 26 Milliarden Euro mehr erwirtschaftet hätte, wenn der Krankenstand "normal" gewesen und nicht so drastisch angestiegen wäre. Errechnet würde dazu das "historische Mittel", erklärt Janssen - teils auch mit Fokus auf einzelne, klassische Krankmeldungsmonate, wie zum Beispiel den Dezember.
Warum die Zahl der Krankmeldungen in den vergangenen Jahren so angestiegen ist - darüber gibt es derzeit noch keine abschließenden Erkenntnisse, sagt die Techniker Krankenkasse. Vermutet werde, dass während der Pandemie durch "Social Distancing" und verstärkte Hygienemaßnahmen auch saisonale, grippeähnliche Erkrankungen seltener auftraten - die sich jetzt wieder vermehrt verbreiten.
Quellen:
- WDR-Recherche
- WDR-Interview mit Ökonom Nils Jannsen
- Meldung und Jahresbericht der Techniker Krankenkasse