Korrespondentin Katharina Willinger berichtet aus Istanbul
Aktuelle Stunde . 27.02.2025. 30:35 Min.. UT. Verfügbar bis 27.02.2027. WDR.
PKK-Gründer Öcalan ruft zu Waffenruhe auf: Was sagen Kurden in NRW?
Stand: 28.02.2025, 18:15 Uhr
PKK-Gründer Öcalan ruft seine Organisation zur Waffenabgabe und Selbstauflösung auf. Was seine historische Erklärung für den jahrzehntelangen Kurdenkonflikt bedeutet und wie Kurden in NRW reagieren.
Von Sabine Schmitt
Der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan hat in einer historischen Erklärung seine Organisation zur Waffenabgabe und Selbstauflösung aufgerufen. Nach fast vier Jahrzehnten bewaffnetem Konflikt mit der Türkei bezeichnet Öcalan die PKK als "überholt" und "nicht mehr zeitgemäß".
Abdullah Öcalan verbüßt seit 1999 eine lebenslange Freiheitsstrafe auf der Gefängnisinsel Imrali wegen Hochverrats und seiner Führungsrolle in der als Terrororganisation eingestuften PKK, die für einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat verantwortlich ist. Er war 1999 sogar zum Tode verurteilt worden, das Urteil wurde aber unter anderem auf europäischen Druck hin nicht vollstreckt.
Seine Botschaft wurde gestern von der prokurdischen Partei DEM in Istanbul verlesen, nachdem deren Vertreter Öcalan im Gefängnis besucht hatten. Der Aufruf Öcalans könnte zu einem neuen Friedensprozess zwischen PKK und türkischer Regierung führen - der erste Schritt dieser Art seit mehr als zehn Jahren. Zuletzt wurde 2013 eine Waffenruhe ausgerufen, der Friedensprozess scheiterte aber im Sommer 2015.
Die wichtigsten Fragen und Antworten - und was das für Kurden in NRW bedeutet.
- Wer sind die Kurden?
- Wer ist die PKK und wofür kämpft sie?
- Wieso kommt der Aufruf zur Waffenruhe jetzt?
- Welche Gründe könnte die türkische Regierung Regierung für einen Friedensprozess haben?
- Wie ist die Lage der Kurden in der Türkei?
- Welche Chancen bietet der Friedensprozess für die kurdische Bevölkerung?
- Wie viele Kurden leben in Deutschland und NRW?
- Wie reagieren Menschen aus der deutsch-kurdischen Gemeinschaft in NRW?
Wer sind die Kurden?
Die Kurden sind ein Volk ohne eigenen Staat. Laut Bundeszentrale für politische Bildung leben über 30 Millionen Kurdinnen und Kurden in der Türkei, im Iran, im Irak und in Syrien. Damit seien sie "die größte staatenlose Diaspora der Welt". Die meisten sind Muslime und sprechen verschiedene kurdische Sprachen. Die Bundeszentrale erklärt: In allen vier Ländern wurden die Kurden unterdrückt, weil die Regierungen sie als Gefahr sahen. Es gab viele Kämpfe und Vertreibungen. Bis heute ist die "Kurdenfrage" nicht gelöst. Die PKK hat 1983 den bewaffneten Kampf für einen eigenen kurdischen Staat aufgenommen.
Wer ist die PKK und wofür kämpft sie?
PKK ist die Abkürzung für Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch: Partiya Karkerên Kurdistanê). Sie ist eine militante Gruppierung, die mit Waffengewalt gegen den türkischen Staat kämpft. Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan in der Türkei gegründet, hauptsächlich als Reaktion auf die politische, soziale und kulturelle Unterdrückung der Kurden in der Türkei. Zu Beginn war sie eine politische Organisation, die Kurden zu vereintem Widerstand gegen die türkische Regierung aufrief. Später wandelte sie sich in eine militante Bewegung, die zunehmend gewaltsame Mittel einsetzte, um ihre Ziele zu erreichen und dafür auch Terroranschläge auf Zivilisten verübte. Die PKK ist in der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation gelistet.
Das türkische Militär geht militärisch gegen die PKK vor. Laut der International Crisis Group sind im Kontext des Konflikts bisher etwa 40.000 Menschen getötet worden. Heute hat die PKK ihr Hauptquartier in den Kandil-Bergen im Irak, ist aber auch in der Türkei, in Syrien und in Europa präsent. Mittlerweile plädiert die PKK nicht mehr ausdrücklich für einen unabhängigen kurdischen Staat, sondern für weitgehende Autonomie und Rechte für Kurden innerhalb der bestehenden Staaten.
Wieso kommt der Aufruf zur Waffenruhe jetzt?
Dass Öcalan nun dazu aufruft, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen, geht auf eine Initiative des ultranationalistischen Regierungspartners von Erdogan, der Partei MHP zurück. Ihr Chef Devlet Bahceli, bisher eigentlich ausgesprochener Gegner einer Aussöhnung mit der PKK, hatte im Oktober eine Freilassung Öcalans ins Spiel gebracht, sollte die PKK ihre Waffen niederlegen und sich auflösen.
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Der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan
Türkei-Experten sehen dafür mehrere Gründe. Zum einen sei die PKK im Irak durch die türkischen Angriffe geschwächt und damit in einer Position, über eine Waffenniederlegung zu verhandeln. Auch in der kurdischen Bevölkerung wachse die Forderung nach einem Ende der Kämpfe. Zudem ist seit dem Überfall der Hamas auf Israel, der Schwächung des Irans und dem Umsturz in Syrien ein Machtvakuum in der Region entstanden - sowohl Kurden als auch die Türkei wollten das gestalten.
Welche Gründe könnte die türkische Regierung Regierung für einen Friedensprozess haben?
Der Aufruf zur Auflösung der PKK könnte für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine "Win-Win-Situation" bedeuten, sagt Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung im WDR-Interview. Beobachter vermuten, dass der Prozess von dem Interesse Erdogans gesteuert sein könnte, sich noch einmal als Präsident wiederwählen zu lassen. Für eine Verfassungsänderung oder vorgezogene Neuwahlen benötigt er die Stimmen der kurdennahen DEM-Partei.
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Der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan
Teil der komplexen innenpolitischen Dynamik ist aus Sicht von Experten auch die Inhaftierung prominenter kurdischer Politiker wie zum Beispiel Selahattin Demirtaş, des ehemaligen Parteichefs der pro-kurdischen Partei. Demirtaş hatte bei früheren Wahlen dazu aufgerufen, nicht für Erdoğan zu stimmen.
Wie ist die Lage der Kurden in der Türei?
In der Türkei vertritt die Demokratische Partei der Völker (DEM) die Interessen der Kurden. Bei den Kommunalwahlen 2024 gewann die DEM in zehn kurdischen Provinzen. Doch der türkische Staat setzte vier der gewählten kurdische Bürgermeister schnell wieder ab. 2019 wurden sogar 48 kurdische Bürgermeister ihres Amtes enthoben und durch Regierungsvertreter ersetzt. Die türkische Regierung behauptet, die DEM sei mit der verbotenen PKK verbunden. Selbst friedliche Forderungen nach kurdischen Rechten werden oft als Terrorunterstützung angesehen. Diese Politik hat nach Einschätzung der Bundeszentrale für politische Bildung viele Kurden zur PKK getrieben.
Türkei-Experten berichten außerdem, die türkische Regierung überwache kurdische Bürger auf der Straße und in sozialen Medien. Wer sich kritisch äußert, müsse mit Strafen rechnen.
Welche Chancen bietet der Friedensprozess für die kurdische Bevölkerung?
Der PKK-Auflösungsprozess könnte laut Dawid Bartelt neue Möglichkeiten für die kurdische Bevölkerung eröffnen. Es würden "Räume frei werden, darüber zu reden, ob es sowas wie mehr Selbstverwaltung geben kann" und die Türkei könnte "entspannter sein [...], was den Gebrauch der kurdischen Sprache angeht." Bis 1991 existierte in der Türkei ein Gesetz, das den Gebrauch der kurdischen Sprache untersagte - selbst kurdische Namen waren verboten. Trotz Aufhebung des Gesetzes wird die kurdische Sprache weiter diskriminiert.
WDR-Redakteurin und Türkei-Expertin Ayca Tolun sagt: "Im Grunde ist das Spiel noch offen." Der Aufruf Öcalans sei zwar "ein anderes und sehr großes Kaliber". Doch sie erinnert daran: "Das Tischtuch zwischen den Kurden und der Regierung wurde schon in der Vergangenheit nach mehreren ähnlichen aufsehenerregenden politischen Prozessen immer wieder zerrissen." Alles sei möglich.
Nach Einschätzung von Türkei-Kennern ist nun die türkische Regierung am Zug. Dass es ihr ernst ist mit einem möglichen Friedensprozess, könnte sie zum Beispiel zeigen, indem sie inhaftierte kurdische Politiker freilässt.
Wie viele Kurden leben in Deutschland und in NRW?
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es keine offiziellen Daten zur kurdischen Bevölkerung in Deutschland. Schätzungen von Vertretern kurdischer Organisationen gehen von knapp einer Million Menschen in Deutschland aus. Besonders in NRW ist die Gemeinschaft stark vertreten, mit Köln als wichtigem Zentrum des kurdischen Aktivismus. Die ungenauen Zahlen erklären sich dadurch, dass viele Kurdinnen und Kurden mit der Staatsbürgerschaft ihrer Herkunftsländer registriert wurden oder undokumentiert leben.
Wie reagieren Menschen aus der deutsch-kurdischen Gemeinschaft in NRW?
Musa Ataman von der Kurdischen Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn findet die neuen Entwicklungen gut. "Das ist etwas Erfreuliches", sagt er. "Ein bewaffneter Kampf ist keine Lösung und bringt nichts. Wir wollen eine friedliche Lösung".
Ataman hofft, dass jetzt auch politische Gefangene freikommen, darunter inhaftierte PKK-Bürgermeister. Er wünscht sich "eine Amnestie für Menschen, die sich für demokratische Ziele eingesetzt haben".
Und die Forderung nach einer eigenständigen Heimat für die Kurden? "Kurden wollten immer einen eigenen Staat", erklärt Ataman. "Föderalismus wie in Deutschland könnte auch eine Lösung sein", findet er, "aber viele wollen auch unabhängig sein." Darüber müsse man diskutieren und "eine Lösung finden, die für alle Beteiligten gut ist".
Als Voraussetzungen für gutes Zusammenleben nennt Ataman: "Frieden, gegenseitiger Respekt, Menschenrechte, Gleichstellung von Mann und Frau, dass Kinder frei in die Schule gehen und studieren können".
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Großdemo von Kurden in Köln (Archiv)
Ob es weiter Demonstrationen der PKK in NRW geben wird, lasse sich noch nicht sagen. Dafür sei es "zu früh", sagt Ataman. Er bittet aber alle Kurden in Deutschland: "Friedlich demonstrieren und für Demokratie!"
Auch Cahit Basar, NRW-Landesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, setzt auf eine friedliche und demokratische Lösung im Konflikt zwischen der PKK und der Türkei. Dem WDR sagte er, er hoffe, dass die Türkei die Initiative von Öcalan ernst nehme und nicht ins Leere laufen lasse. Die Türkei müsse sich auf die Kurden zubewegen. Dieser Prozess müsse auch von der EU begleitet werden.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- WDR-Interview mit Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung
- Gespräch mit WDR-Redakteurin und Türkei-Expertin Ayca Tolun
- Gespräch mit Musa Ataman von der Kurdischen Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn
- Gespräch mit Cahit Basar, NRW-Landesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland
- Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung - Staatenlose Diaspora – Das Beispiel der Kurdinnen und Kurden in Deutschland
- Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung - Kurdenkonflikt
- Bericht von tagesschau.de - PKK-Gründer Öcalan ruft zu Ende des Kampfes gegen die Türkei auf
- Bericht von tagesschau.de - Warum der Öcalan-Aufruf Hoffnung auf Frieden schürt
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 27.02.2025 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.