Der Personalbedarf in der Pflege steigt dramatisch. Obwohl Prognosen auf lange Sicht schwierig sind, hat die "Initiative für eine nachhaltige und generationengerechte Pflegereform" neue Berechnungen vorgelegt. Demnach beläuft sich der zusätzliche Stellenbedarf bis 2025 bundesweit bereits auf 57.800 benötigte Vollzeitstellen. Bis zum Jahr 2040 könnten laut Prognose sogar 191.520 Stellen für Pflegerinnen und Pfleger in Deutschland gebraucht werden.
Bedarf von über 10.000 Stellen in NRW bis 2025
Für NRW bedeute dies einen zusätzlichen Stellenbedarf in der Pflege von über 10.000 Vollzeitstellen allein im Jahr 2025. Bis 2040 müssten in ambulanten Pflegediensten und Pflegeheimen schon über 36.000 Stellen zusätzlich besetzt werden. Dabei wurde angenommen, dass die Lebenserwartung kaum ansteigt und sich auch Pflegequoten nicht ändern. Ginge man allerdings von anderen Voraussetzungen aus, änderten sich auch die Zahlen. Auch deshalb sei eine Berechnung zukünftiger Personalbedarfe mit großen Unsicherheiten behaftet, so die Initiative.
Errechnet hat die Initiative das auf Basis der Pflegestatistik sowie der Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamtes. In ihren Berechnungen macht die Initiative keine Aussage über die Qualität der Pflege, sondern legt die aktuellen Gegebenheiten zu Grunde. Der Initiative gehören unter anderem Verbände von Arbeitgebern, Unternehmern und privater Krankenversicherung sowie der Wirtschaftsrat der CDU an.
Viele Pflegende über 50
Die Problematik Pflegemangel ist seit Jahren bekannt. Schon heute können viele Pflegeeinrichtungen ihre offenen Stellen nicht besetzen. Hinzu kommt: Viele Beschäftigten in der Pflege sind gegenwärtig 50 Jahre und älter. Fast jede zweite Pflegekraft wird bis 2040 in den Ruhestand gehen. Und nicht alle Pflegenden arbeiten in Vollzeit.
Faeser ist für Sozialkpraktika an Schulen
Wie also motiviert man potenziellen Nachwuchs? Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schlägt jetzt vor, zunächst Sozialpraktika an Schulen einzuführen. So führe man junge Menschen an die soziale Arbeit heran und sie würden früh spüren, was sie Gutes bewirken könnten, sagte Faeser der Rheinischen Post.
"Grundsätzlich eine gute Idee", findet Tim Munsky, Leiter des Seniorenheims Lazarus in Bergheim. Doch es gibt auch Bedenken: "Praktikanten brauchen Anleitung und Begleitung. Und in einem Bereich mit wenig Personal wäre das eine Mehrbelastung." Gegenüber dem WDR erzählt er, dass er selbst damals über den Zivildienst in den Beruf gekommen sei. "So bin ich in die Branche hineingeschlittert." Er sei sich aber auch relativ sicher, dass er das nicht getan hätte, wenn er diesen Pflichtdienst nicht hätte leisten müssen.
Dennoch blickt der Heimleiter mit Sorgen auf die Zukunft. Man müsse mit Anreizen arbeiten, so Munsky gegenüber dem WDR. Es sei ein Kraftakt, neue Leute zu gewinnen. Der Beruf müsse attraktiver werden.
Raus aus der Blase
Lob für Faesers Vorschlag gibt es auch von Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband. "Intelligent und hilfreich." In die Schule gehöre ein Pflichtpraktikum im sozialen Bereich im Zweifelsfall hin, aber nicht in ein Pflichtjahr. "Es kann auch überhaupt nicht schaden, wenn Jugendliche aus ihrer Blase herausgehen und soziale Erfahrungen sammeln und lernen, wie gut es ist, anderen zu helfen."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Debatte über einen Pflichtdienst mit seinem Vorschlag für eine soziale Pflichtzeit in sozialen Einrichtungen bereits im Juni neu angestoßen. Auch die SPD hatte in den vergangenen Wochen über die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes in Deutschland debattiert. Konkrete Pläne für eine Umsetzung gibt es nach Angaben der Partei aus dem Juli aber nicht.
Zu wenig Fachkräfte aus dem Ausland?
Die Bundesregierung wirbt außerdem weiter um die Fachkräfte auch aus außereuropäischen Ländern. Anfang Juni reisten dafür Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Brasilien. Kritik daran kam umgehend von der Stiftung Patientenschutz: 2022 hätten nur 656 Pflegekräfte außerhalb der EU gewonnen werden können, davon 34 professionell Pflegende aus Brasilien, sagte Vorstandsmitglied Eugen Brysch. Dass Deutschland nur verhältnismäßig wenige Pflegefachkräfte aus dem Ausland anwerben könne, liege auch an den Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal.
Pflegekosten steigen
Doch nicht nur der Mangel an Fachkräften bereitet Sorgen: Immer mehr Pflegebedürftige in NRW können sich nach WDR-Recherchen ihre Heimkosten nicht mehr leisten und müssen staatliche Hilfen beantragen. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) schlägt daher eine Pflegevollversicherung für die stationäre und ambulante Pflege vor. Derzeit ist die gesetzliche Pflegeversicherung eine Art "Teilkaskoversicherung", die nicht alle Kosten deckt.
Wieder Rufe nach Pflegegipfel
Bereits im Juli hatte der Sozialverband VdK in NRW an die schwarz-grüne Landesregierung appelliert, einen Pflegegipfel einzuberufen. Der dürfe allerdings nicht nur eine einmalige Veranstaltung bleiben, forderte der VdK-Landesvorsitzende Horst Vöge.
Die NRW-SPD reagierte prompt: "Wir haben dieses Treffen aller relevanten Akteure bereits gefordert. Minister Laumann hat für einen Pflegegipfel aber gleich an den Bund verwiesen. Doch ganz offenbar gibt es ja einen Bedarf in NRW", so die stellvertretende Vorsitzende Lisa-Kristin Kapteinat.
Jetzt will die NRW- SPD einen eigenen Pflegegipfel organisieren. Wie die "Rheinische Post" berichtet, verschickte die Partei ganz aktuell Einladungsschreiben - unter anderem an die Träger von Pflegeschulen, Sozialverbänden, Wohlfahrtspflege und an die Pflegekammer.
Über dieses Thema berichtet der WDR unter anderem auch in der Aktuellen Stunde im WDR Fernsehen am 12.8.2023 ab 18.45 Uhr.