Steigende Heimkosten: Was, wenn ich mir Pflege nicht leisten kann?
Stand: 18.07.2023, 20:01 Uhr
Zuletzt sind die Kosten für Pflegeheime deutlich gestiegen - auch in NRW. Was passiert, wenn ich pflegebedürftig werde, aber mir den Heimplatz nicht leisten kann? In Deutschland landet niemand auf der Straße, versichert ein Experte.
Von Oliver Scheel
Der Platz im Pflegeheim wird immer teurer: Der Eigenanteil für die Bewohner und Bewohnerinnen in den NRW-Pflegeheimen ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Zum 1. Juli waren hier 2.801 Euro fällig und damit 261 Euro mehr als noch vor einem Jahr, wie eine aktuelle Auswertung des Verbands der Ersatzkassen (VDEK) ergab.
Damit gehört NRW zu den drei teuersten Bundesländern. Nur in Baden-Württemberg (2.913 Euro) und Sachsen-Anhalt (2.841 Euro) müssen Heimbewohner noch mehr berappen.
Kein Geld fürs Heim - was nun?
Die gesetzliche Pflegeversicherung zahlt nur einen Teil der Kosten. Der Eigenanteil für die Heimbewohner setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Den sogenannten pflegebedingten Kosten, die seit 2017 ab Pflegegrad 2 einheitlich sind, den Kosten für Verpflegung und Unterkunft sowie den Investitionskosten der jeweiligen Einrichtung. Da diese Kosten von Bundesland zu Bundesland variieren, ist auch der Eigenanteil in jedem Bundesland unterschiedlich.
Wieso ist der Eigenanteil an den Pflegekosten in NRW besonders hoch?
Nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums (MAGS) ist der Eigenanteil, den Bewohner und Bewohnerinnen von Pflegeeinrichtungen in NRW zahlen müssen, im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt weniger stark gestiegen. Die Steigerung führt das MAGS vor allem auf gestiegene Löhne und Gehälter zurück. Diese Lohnerhöhungen "führen naturgemäß zu höheren Preisen, dies ist aber aus Sicht des MAGS gerechtfertigt, um Personal zu gewinnen und auch zu halten."
Zudem verweist das MAGS darauf, dass sich der Eigenanteil von 2.801 Euro bereits im zweiten Jahr in einem Pflegeheim "deutlich reduziert, da die Pflegekassen seit 2022 bereits nach Aufenthaltsdauer im Pflegeheim gestaffelte Zuschläge zahlen". Diese Zuschläge sollen laut MAGS bereits am 1. Januar 2024 erhöht werden.
Was aber, wenn ich mir das Heim schlichtweg nicht leisten kann? Stephan Reitz, Referent für Alten- und Gesundheitssorge der Caritas, gibt leise Entwarnung: "In Deutschland bleibt niemand unversorgt".
Das Berechnungssystem hält Reitz im Gespräch mit dem WDR für "furchtbar kompliziert". Dennoch muss sich niemand wirklich Sorgen machen. Wenn man ohne Vorbereitung ins Heim muss, hilft die Einrichtung mit. "Am Tag der Aufnahme stellt das Heim den Antrag beim Sozialamt. Den Antrag kann auch jeder selbst stellen, da genügt ein formloses Schreiben", so der Experte. "Ich habe es bisher noch nicht erlebt, dass jemand keine Hilfe erhalten hat."
Muss ich mein Haus verkaufen, um die Heimkosten zu finanzieren?
Ist der Antrag auf Sozialhilfe gestellt, prüft das Sozialamt die Einkommensverhältnisse. Wenn die Leistungen der Pflegeversicherung und das Einkommen oder die Rentenbezüge sowie das Vermögen nicht ausreichen, besteht Anspruch auf Hilfe. "Diese Leistungen werden bedarfsdeckend erbracht, d.h. der verbleibende Betrag kann bis zur vollen Höhe vom Sozialhilfeträger übernommen werden, sofern nicht unterhaltsverpflichtete Angehörige in Anspruch genommen werden", schreibt dazu das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite.
Gegebenenfalls kann vom Sozialamt eigenes Vermögen herangezogen werden, um den Heimplatz zu finanzieren. "Die Vermögensfreigrenze liegt bei 10.000 Euro pro Person", so die Verbraucherzentrale. Weitere Ersparnisse, Grundbesitz oder andere Vermögenswerte des Pflegebedürftigen und seines Ehepartners können aber für die Finanzierung des Heimplatzes eingefordert werden. Haus und Grundstück sind also nicht automatisch geschützt, es gibt aber zahlreiche Ausnahmen. Hier kann auch eine private Pflegezusatzversicherung helfen. Dadurch kann laut Verbraucherzentrale die Pflegesituation unabhängiger gestaltet werden.
Das "Gespenst der Unterhaltspflicht": Wann müssen die Angehörigen zahlen?
Und wann müssen die Kinder für ihre Eltern zahlen? Experte Reitz spricht vom Gespenst der Unterhaltspflicht, das seit Jahren durch die Medien geistere. "Doch die Verwandten ersten Grades müssen erst ab einem Einkommen von 100.000 Euro zahlen, bei Ehepartnern sogar das Doppelte", so Reitz. Und auch dann müsse nicht der komplette Heimplatz bezahlt werden, sondern auch das nur anteilig. Reitz spricht daher in diesem Fall von einer "Scheindebatte".
Und welches Heim kommt für mich infrage?
Generell ist es so, dass Heime keinen Unterschied machen, ob ein Bewohner oder eine Bewohnerin Geld hat oder nicht. Die meisten Heime haben einen Versorgungsvertrag, auch viele private. Lediglich rein privatwirtschaftlich organisierte Heime nehmen nur solvente Senioren auf.
Steigen die Preise immer weiter?
Die jetzigen Preissteigerungen kommen auch durch höhere Personalausgaben zustande. Seit September 2022 müssen alle Einrichtungen Pflegekräfte nach Tarifvertrag oder ähnlich bezahlen, um mit den Pflegekassen abrechnen zu können. Das sei wichtig und richtig, so Reitz: "Die Gehaltssteigerungen sind gerechtfertigt."
Seit 2022 gibt es neben den Zahlungen der gesetzlichen Pflegekasse einen Entlastungszuschlag. Den Eigenanteil nur für die reine Pflege senkt das im ersten Jahr im Heim um 5 Prozent, im zweiten um 25 Prozent, im dritten um 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 70 Prozent. Nach einer Reform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sollen die Zuschläge Anfang 2024 erhöht werden.
Dennoch brauche es eine gesellschaftliche Diskussion. "Irgendwann werden die Sozialversicherungsbeiträge steigen", glaubt Reitz. Das liege schlichtweg an der demografischen Entwicklung. "Wir müssen uns die Frage stellen, was sind uns die Alten wert?"
Wo finde ich Beratung?
Wer möchte, kann sich beim örtlichen Sozialamt, den Verbraucherzentralen, den Pflegestützpunkten und der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V. (BIVA) über das Thema Heimplatzkosten beraten lassen.