
Mehr Menschen sind armutsgefährdet: Sie leiden unter der Inflation
Stand: 29.04.2025, 06:00 Uhr
Die Armut in Deutschland hat wieder zugenommen – und viele Menschen können sich wegen der Inflation immer weniger leisten. Ab wann ist man arm, wen betrifft es am häufigsten und wie sieht es in NRW aus? Fakten und Grafiken zu den wichtigsten Fragen.
Von Lisa-Marie Eckardt
In Deutschland leben 13 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Das sind 15,5 Prozent der Bevölkerung, wie aus dem Paritätischen Armutsbericht 2025 hervorgeht. Die mit Daten von 2024 berechnete Armutsquote war demnach um 1,1 Prozentpunkte höher als noch im Vorjahr. Es ist das erste Mal seit 2020, dass die Armutsquote in dieser Art gestiegen ist.
Der Armutsbericht zeigt auch, dass die hohe Inflation arme Menschen besonders trifft. Laut Bericht lag das mittlere Einkommen von Personen unterhalb der Armutsgrenze 2024 preisbereinigt nur noch bei 921 Euro im Monat. 2020 waren es noch 981 Euro.
Um diese Fragen geht es in diesem Text:
Wie hat sich Armut in Deutschland und NRW in den vergangenen Jahren entwickelt?
Die Zahl der Menschen in Deutschland, die von Armut betroffen sind, hat im Vergleich zum Vorjahr zugenommen.
Dabei gibt es im Vergleich der Bundesländer große regionale Unterschiede. In NRW ist fast jede sechste Person (17,4 Prozent) von Armut betroffen. Damit liegt NRW im bundesweiten Vergleich auf Platz drei hinter Bremen und Sachsen-Anhalt. In Bremen ist sogar jede vierte Person (25,9 Prozent) betroffen. In Bayern hingegen nur etwa jede achte Person (11,8 Prozent).
Wer ist besonders von Armut betroffen?
Von Armut betroffen sind insbesondere Alleinerziehende, junge Erwachsene und Rentner – vor allem aber Rentnerinnen. Wenn man die Armutsquoten nach Geschlecht und Alter vergleicht, fällt auf, dass in der Gruppe der Menschen über 75 Jahren die Frauen deutlich stärker betroffen sind. Auch in der Gruppe der Menschen über 65 und bei den jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren zählen Frauen häufiger zu den Armutsbetroffenen.
Ein Blick auf die Einkommensarten zeigt, dass sich Arbeit lohnt. Mit 60 Prozent ist der Anteil der Armutsbetroffenen unter den Arbeitslosen am höchsten. Unter Erwerbstätigen ist der Anteil mit 6,5 Prozent hingegen vergleichsweise gering. Zudem ist die Armut unter Erwerbstätigen zurückgegangen, 2021 waren es noch 8,7 Prozent. Das zeigt dem Bericht zufolge, dass der Mindestlohn ebenso wie die Verbesserungen durch die Wohngeldreformen wirken.
Einen großen Anteil macht allerdings die Altersarmut aus. Mit rund 19 Prozent sind Menschen im Ruhestand überproportional von Armut betroffen. Auch sonstige Nichterwerbstätige, wozu vor allem Kinder, Menschen in Elternzeit sowie in Aus- oder Fortbildung zählen, sind mit 32,4 Prozent sehr stark vertreten.
Wie wird Armut definiert?
Mit Armut ist meistens die sogenannte relative Armut gemeint, im Gegensatz zum absoluten Armutsbegriff: Der macht Armut an existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit und Nahrungsmangel fest.
Häufiger benutzt wird der Begriff der relativen Armut - zum Beispiel auch von der EU, dem Statistischen Bundesamt und im Paritätischen Armutsbericht. Er beschreibt Armut im Verhältnis zum jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld eines Menschen.
Dieses Konzept geht davon aus, dass in unterschiedlich wohlhabenden Gesellschaften Armut sehr unterschiedlich aussehen kann und vor allem durch gesellschaftlichen Ausschluss, mangelnde Teilhabe und nicht erst durch Elend gekennzeichnet ist.
Arm sind der EU zufolge alle, die über so geringe Mittel verfügen, "dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist", heißt es in einem Kommissionsbericht von 1983.
Einkommensarm ist demnach jede Person, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen.
Das Konzept der relativen Armut geht außerdem davon aus, dass Armut ein dynamisches gesellschaftliches Phänomen ist. Wenn der Wohlstand in einer Gesellschaft wächst, verändern sich Lebensweisen und es können neue Barrieren der Teilhabe entstehen, wenn dieser Wohlstand nicht alle relativ gleichmäßig erreicht.
Ab wann ist man von Armut betroffen?
Die Armutsschwelle bezeichnet die oberste Einkommensgrenze, bis zu der Menschen als einkommensarm gelten. Aktuell liegt sie für Alleinlebende bei 1.381 Euro im Monat. Für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren sind es 2.900 Euro.
Die Armutsschwelle ist allerdings nicht gleichzusetzen mit der Summe, die einkommensarme Menschen tatsächlich im Schnitt im Monat zur Verfügung haben. Denn das liegt häufig deutlich darunter: 2024 lag ihr mittleres Einkommen bei 1.099 Euro. Somit liegen arme Menschen mit ihrem monatlichen Einkommen im Schnitt 281 Euro unterhalb der Armutsschwelle.
Zwar ist die Armutsschwelle von 1.300 Euro in 2020 nominal auf 1.381 Euro in 2024 gestiegen, das heißt aber nicht, dass sich arme Menschen mehr leisten können. Das Gegenteil ist der Fall.
Welchen Einfluss hatte die Inflation auf die Armut?
Dem Paritätischen Armutsbericht 2025 zufolge führt die Inflation zu einer Verschärfung der Armut. Anders gesagt: Wenn man die mittleren Einkommen vergleicht, "zeigt sich, dass die Armen seit 2020 real noch ärmer geworden sind", heißt es im Bericht.
Demnach lag das mittlere Einkommen von Personen unterhalb der Armutsgrenze 2024 preisbereinigt nur noch bei 921 Euro im Monat. 2020 waren es noch 981 Euro.
Betrachtet wird hier das Median-Einkommen und nicht der Durchschnittswert. Der Median ist der Wert, bei dem genau die Hälfte der Menschen mehr und die andere Hälfte weniger Einkommen hat. So sorgen die oberen und unteren Extremwerte nicht dafür, dass das Ergebnis verzerrt wird.
Was kann die Politik tun?
"Die Zahlen belegen, was viele Menschen mit geringem Einkommen schon lange im Alltag spüren: Die Armen werden ärmer", sagt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. "Die Kaufkraftverluste der vergangenen Jahre verschärfen die ohnehin schon schwierige finanzielle Lage von Millionen Betroffenen."

Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer Paritätischer Gesamtverband
Der Verband fordert daher: "Die neue Bundesregierung muss die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung jetzt ganz oben auf die Agenda setzen." Den Koalitionsvertrag nannte Rock bereits zuvor "eine Einigung mit Licht und Schatten". Sozialpolitische Fortschritte der vergangenen Jahre würden aus Sicht des Verbandes "zurückgedreht und entwertet".
Er kritisierte die Rückabwicklung des Bürgergeldes, die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs und die Verschärfung der Sanktionen. Diese Änderungen gehen laut Rock zu Lasten besonders benachteiligter Menschen. Die vorläufige Sicherung des Rentenniveaus und die volle Anerkennung der Mütterrente hingegen seien wichtige, aber nicht ausreichende Maßnahmen, um den Anstieg von Altersarmut zu bremsen.
Neben besseren Erwerbseinkommen sieht der Paritätische insbesondere Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Wohn- und Familienarmut, der Stärkung der Rentenversicherung und dem Ausbau der Grundsicherung.
Positiv entwickelt habe sich hingegen die Zahl der Erwerbstätigen in Armut: Hier zeigt der Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes einen leichten Rückgang. Ausschlaggebend für diese Verbesserung sei aus Sicht des Verbandes die Erhöhung des Mindestlohnes sowie die Reform des Wohngeldes.
Unsere Quellen:
- Paritätischer Armutsbericht 2025
- Gespräch mit Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband
- Daten von Statistischem Bundesamt und EU. Für den Armutsbericht wird seit 2020 die Statistik "EU-SILC" (European Union Statistics on Income and Living Conditions) verwendet. Sie ist die amtliche Hauptdatenquelle für die Messung von Armut und Lebensbedingungen auf Bundesebene und in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Seit 2020 ist die Erhebung in den Mikrozensus integriert.