Der Protest gegen den Braunkohleabbau äußert sich nicht nur in Lützerath, sondern auch weit entfernt in den Städten. Besonders im Fokus stehen dabei die Grünen. So wurde in Düsseldorf am Donnerstag die Landeszentrale der Partei besetzt. "Wir glauben, dass die Grünen als Klimaschutzpartei versagt haben", sagte einer der Besetzer dem WDR. Der Kompromiss mit RWE sei "der größte Fehler in der Geschichte der Grünen".
In Aachen, Mönchengladbach und Leipzig wurden an Büros der Partei Scheiben eingeworfen und Parolen an die Wände geschmiert. Dina Hamid, Sprecherin der Initiative "Lützerath lebt!", bezeichnete den Kompromiss, den die Grünen Robert Habeck und Mona Neubaur vergangenen Herbst mit RWE zum Braunkohleabbau geschlossen hatten, als "Riesenverrat".
Habeck: "Lützerath ist das falsche Symbol"
Wirtschaftsminister Robert Habeck verteidigte die Vereinbarung mit RWE zwar wiederholt. "Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol", sagte er dem "Spiegel." Aber die meisten Demonstanten sehen das anders.
Heutige Aktivisten wie die Grünen vor 40 Jahren
Ist der Spagat zwischen Realpolitik und Klimaprotesten zu groß? Bahnt sich hier eine Zerreißprobe für die Grünen an? Für den WDR-Wahlexperten Jörg Schönenborn ist die Gleichsetzung der Aktivisten mit Grünen-Wählern ein "Missverständnis": Die Protestierenden sähen zwar aus wie die Kernwählerschaft der Grünen - "allerdings wie die vor 30, 40 Jahren". Inzwischen hätte die Partei andere Wähler. Die Gruppe, die aktuell protestiere, sei zwar laut, aber nicht besonders groß.
Können auch andere Parteien das Umweltthema besetzen?
Für den Politjournalist Albrecht von Lucke haben die Grünen das "Glück", dass es keine andere Partei gebe, die das Umweltthema "originär und glaubhaft" besetze, sagte er der ARD. Im Zuge der aktuellen Proteste könnten sich zwar Wähler resigniert von der Partei abwenden und zu Nichtwählern werden. "Aber das wird nicht die große Masse sein", so Lucke.
Der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus sieht das allerdings etwas anders. Er verweist im Gespräch mit dem WDR auf Kleinparteien wie die "Klimaliste", die bei den vergangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz knapp ein Prozent der Stimmen erreicht haben. "Die schaffen es zwar nicht in die Parlamente, aber sie können bei knappen Wahlen den Grünen ein paar entscheidende Prozentpunkte wegnehmen", so Debus.
Die Frage nach der grünen Identität
Die Protestierenden sind für Debus zwar ebenfalls eine "kleine Minderheit innerhalb der Partei". Allerdings sieht er die grüne Identität durch eine Politik wie in Lützerath "auch ein Stück weit gefährdet". Sollten die innerparteilichen Konflikte anhalten, könnte es sein, dass der Partei in Umwelt- und Klimafragen eine geringere Problemlösungskompetenz zugewiesen werde.
Die grüne Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katharina Dröge, findet es mit Blick auf die Proteste "richtig, dass es eine Zivilgesellschaft gibt, die sagt: Wir wollen mehr!" Allerdings seien die Grünen eben gezwungen, Kompromisse zu machen mit "Parteien, die etwas völlig anderes wollen", sagte sie der ARD.
Grünen kennen Konflikte zwischen Fundis und Realos
Schmerzhafte Kompromisse einzugehen und sich dabei den Zorn der Basis zuzuziehen, ist nichts Neues für die Grünen. Man denke nur an den Farbbeutelwurf auf Joschka Fischer auf dem Parteitag der Grünen zum Kosovokrieg 1999. Wer Regierungsverantwortung übernehme, müsse eben Realpolitik betreiben, die oft zu Konflikten führt, sagt Politikwissenschaftler Debus: "Bislang sind die Grünen aus den Konflikten zwischen Realos und Fundis, die die Partei über Jahrzehnte geprägt haben, immer gestärkt hervorgegangen."
Grüne Umfragewerte weiterhin gut
Unter Umständen kann die aktuell aufgeheizte Lage sogar eine Chance für die Grünen sein, sagt Debus. Wer realpolitisch handele, zeige den Wählern, dass er bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. "So kann man für moderat ausgerichtete Wähler attraktiv werden und dort möglicherweise Stimmen gewinnen, die man an anderer Stelle verliert", so Debus.
Zumindest in den Umfragen spürt man keinen Knick im Zuspruch zur Partei. Bei der aktuellen "Sonntagsfrage" des ZDF kommen die Grünen auf 21 Prozent und somit auf einen Prozentpunkt mehr als im Dezember.