Menschen versammeln sich vor der Johanniskirche. Davor sperrt ein Fahrzeug der Polizei die Straße.

Ermittler fordern weniger Datenschutz im Kampf gegen Attentate

Stand: 12.01.2025, 15:10 Uhr

Wie kann man Anschläge wie den in Magdeburg verhindern? Politiker, Ermittler und Mediziner haben unterschiedliche Auffassungen. 

Von Tim Köksalan, WDR-LandespolitikTim Köksalan und Fritz Sprengart

Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg hat die Diskussion um die Prävention von Gewalttaten und die Früherkennung von potenziellen Tätern erneut entfacht. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte zuletzt ein Register psychisch erkrankter Gewalttäter. Ermittler wünschen sich in solchen Fällen eine Auflockerung der ärztlichen Schweigepflicht. 

NRW setzt auf Präventionsprogramm "PeRiskoP"

In NRW gibt es bereits einen Ansatz, potenzielle Attentäter frühzeitig zu erkennen. Das Programm heißt „PeRiskoP“ (kurz für: Personen mit Risikopotenzial). Der Fokus liegt auf Menschen mit psychischer Erkrankung. In jeder Polizeibehörde gibt es Beamte, die dafür eng mit Gesundheitsämtern und Kliniken zusammenarbeiten. Auch der 38-Jährige Iraner, der im vergangenen Oktober versucht hat, einen Brandsatz in einem Krefelder Kino zu zünden war hier registriert. Es ist nicht die erste Tat eines Menschen, der durch Periskop beobachtet wird. Deshalb gibt es Zweifel an der Effektivität des Programms. Ermittler kritisieren, dass ihre Möglichkeiten bei „PeRiskoP“ zu eingeschränkt sind.

Anschläge konnten mehrfach nicht verhindert werden

Mehr als 5.000 Menschen wurden 2024 von "PeRiskoP" überprüft, 362 von ihnen werden als gefährlich eingestuft und überwacht. Trotzdem kommt es immer wieder zu Anschlägen solcher Risikopersonen. Beispiele gibt es mittlerweile einige. Der Syrer, der im Herbst zwei Häuser in Essen angezündet hatte, stand unter Beobachtung von "PeRiskoP". Auch beim versuchten Amoklauf an einem Bielefelder Berufskolleg vor zwei Jahren, und bei einem Messerangriff auf zwei Duisburger Grundschüler in Duisburg im vergangenen Jahr, handelte es sich um Täter, die bei "PeRiskoP" gelistet waren.

Krefeld und das Präventionsprogramm Periskop

WDR 5 Westblick - aktuell 15.10.2024 06:57 Min. Verfügbar bis 15.10.2025 WDR 5


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Ermittler fordern mehr Befugnisse

Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK)

Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK)

Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht durch solche Beispiele das Vertrauen der Bürger in die Arbeit der Sicherheitsbehörden gefährdet. "PeRiskoP" sei ein guter und wichtiger Ansatz, doch wenn die Ermittler eine Person im Fokus haben, sei man darauf angewiesen, dass die Person selbst die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. "Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass die Polizei direkten Zugriff auf Gesundheitsdaten bekommen kann", so Huth. Man könne durch einen Verhaltenskodex verhindern, dass die Daten innerhalb der gesamten Polizei kursieren. Dies sei in anderen Deliktsfeldern, wie bei sexuellem Missbrauch an Kindern, auch gelungen.

Psychiater sehen Erfolg ihrer Arbeit gefährdet

Mazda Adli

Mazda Adli

Die Forderung, die Schweigepflicht zu lockern, sehen Mediziner kritisch. Mazda Adli, Psychiater am Berliner Fliedner Klinikum, warnt vor den Folgen: "Wir können davon ausgehen, dass Menschen sich erst dann öffnen, wenn sie einen Schutzraum vorfinden, bei dem garantiert ist, dass das, worüber sie sprechen, nicht weitergetragen wird." Adli sieht in den derzeitigen Debatten die Gefahr einer pauschalen Stigmatisierung. Im schlimmsten Fall würden Menschen mit psychischer Erkrankungen sich überhaupt keine Hilfe mehr holen, weil sie befürchten als Sicherheitsrisiko zu gelten, so Adli.

Opposition sieht Vorschläge kritisch

Die SPD nennt die Vorschläge für ein Register psychisch kranker Gewalttäter oder zur Lockerung der Schweigepflicht populistisch. Es brauche keine neuen Gesetze, sondern konsequentere Verfolgung von Warnsignalen. "Bei dem Täter von Magdeburg hat es ja nicht an Hinweisen gemangelt, sondern eher daran, dass niemand die so umgesetzt hat, wie es offensichtlich angemessen gewesen wäre", erklärt Lisa Kapteinat, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im NRW-Landtag. Auch die FDP warnt, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Es brauche interdisziplinäre Teams aus Psychologen, Sozialarbeitern und Sicherheitskräften, die auffällige Personen engmaschig betreuen und potenzielle Gefährdungssituationen entschärfen, so Marc Lürbke, Innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion.

Reul sieht keinen Handlungsbedarf

Auch NRW-Innenminister Herbert Reul hält von einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht wenig. "Patientenschutz ist extrem wichtig", so Reul. Eine Lockerung in diesem Bereich sei mit ihm nicht zu machen. "Deshalb lebe ich mit dem Risiko und auch mit der Erklärungsnot, die ich dann geben muss." Den Fällen aus Krefeld, Duisburg oder Essen hält Reul entgegen, das 90 Prozent der beobachteten Menschen bei "PeRiskoP" nicht straffällig werden. Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nun mal nicht, aber man könne das Risiko reduzieren. Dies ist nach Ansicht Reuls zumindest in NRW in den vergangenen Jahren gelungen.

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen bei Westpol am 12.01.25 um 19:30.