Marode Deiche
Westpol. 17.12.2023. UT. DGS. Verfügbar bis 17.12.2028. WDR.
Marode Deiche: Hochwasserschutz in NRW in Gefahr
Stand: 17.12.2023, 20:38 Uhr
Seit Jahrzehnten ist die Sanierung von Deichen in NRW vernachlässigt worden. Das räumt NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) ein. Genehmigungsverfahren müssten jetzt vereinfacht werden, Personal in den Behörden besser für den Bereich Hochwasserschutz ausgebildet werden.
Von Beate Becker, Anne Bielefeld
Harry Schulz will sich gar nicht ausmalen, was passiert, wenn der Deich bricht. Der Deichgräf ist verantwortlich für 50 Kilometer Hochwasserschutz zwischen Wesel Bislich bis zur niederländischen Grenze. Das macht er ehrenamtlich, als Chef des örtlichen Deichverbandes. Seit 30 Jahren sollen verschiedene Stellen des Deiches eigentlich breiter, höher und stabiler gemacht werden. Das wurde bereits aufwändig geplant. Immer wieder aber gab es neue Verordnungen, Grundstückeigentümer wechselten.
Denkmalschutz vor Deichsanierung
Deichgräf Harry Schulz
Ganz aktuell ist ein alter Bunker aus dem 2. Weltkrieg auf dem Deich das Problem, warum noch immer nichts passiert ist. Der Kreis Wesel hat ihn unter Denkmalschutz gestellt. Harry Schulz macht das fassungslos. "Ich hoffe inständig, dass die Planungsbehörde in Düsseldorf endlich mal zu der Einsicht kommt, dass Hochwasserschutz elementar ist", sagt Harry Schulz.
Sanierungsbedarf immens
An NRW-Flüssen gibt es auf einer Länge von rund 530 Kilometern Deiche. Bei mindestens der Hälfte bestehe Handlungsbedarf, räumt das zuständige Umweltministerium ein. Derzeit wird geprüft, was genau wie saniert oder neu gebaut werden muss. Seit 2014 ist die Zahl der dringend notwendigen Vorhaben auf 44 gestiegen. Tatsächlich sind bislang nur sechs Projekte gestartet, ein Bruchteil also.
Mehr qualifiziertes Personal ausbilden
NRW-Umweltminister Oliver Krischer
Für den Neubau oder die Sanierung von Deichen sind Hochwasser-Experten gefragt. Gesetzliche Auflagen sind umfangreich und kompliziert. Zuständig für die Genehmigungsverfahren sind die Bezirksregierungen. Doch hier gibt es seit Jahren zu wenige Leute, die dafür ausgebildet sind. Das Land hat zwar im vergangenen Jahr neue Stellen geschaffen, doch das reicht nicht, sagt NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne). "Es kann ja nicht irgendwer einen Deich planen, das müssen Experten sein. Wir brauchen Bauingenieure. Das ist der Flaschenhals", so der Minister. Auch vorhandenes Personal in den Bezirksregierungen solle jetzt dafür qualifiziert werden.
Aus der Vergangenheit lernen
Überschwemmter Rheindeich Düsseldorf Lohausen
Deiche können brechen. Das hat das verheerende Hochwasser 1995 gezeigt. Fünf Menschen waren dabei in NRW ums Leben gekommen. In Düsseldorf war der Stadtteil Himmelgeist besonders betroffen. Seit Jahrzehnten ist geplant, den Deich hier zu erweitern und zu sanieren. Jetzt verzögert die Klage des Umweltverbandes BUND das Vorhaben: Das Gericht hat entschieden, dass die Stadt Umweltvorgaben stärker berücksichtigen muss. Neue Planungen können Jahre dauern.
Bemessungsgrundlage für Hochwasserschutz veraltet
Prof. Holger Schüttrumpf
Klimaexperten gehen davon aus, dass es in Zukunft mehr extreme Wetterereignisse geben wird. An der RWTH Aachen forscht Professor Holger Schüttrumpf, wie sich das auf Deiche auswirken kann. In einer riesigen Versuchshalle werden dafür bestimmte Szenarien nachgebaut. Aus den Ergebnissen wird auch abgeleitet, wie Deiche besser und stabiler gemacht werden können. Holger Schüttrumpf ist davon überzeugt, dass die Bemessungsgrundlage, wie hoch Deiche in NRW sein müssen, veraltet ist. "Wir müssen das Thema Klimawandel heute in die Planung aufnehmen. Denn wir investieren ja richtig viel Geld, um Deiche zu ertüchtigen", sagt der Experte.
Die Zeit drängt
Deichgräf Harry Schulz hofft, dass es bei ihm im Kreis Wesel Mitte des kommenden Jahres endlich voran geht. Das habe die Bezirksregierung ihm versprochen. Dabei hat er trotzdem ein mulmiges Gefühl. Ob ein Hochwasser, wie 1995, sein Deich nochmal aushalten würde? "Wir haben seitdem Glück gehabt. Das Glück muss ja nicht unendlich anhalten."