Lehren aus dem Loveparade-Verfahren: Komplexe Prozesse beschleunigen
Stand: 28.03.2022, 13:44 Uhr
Eine Expertenkommission zur Loveparade-Katastrophe hat 20 Vorschläge präsentiert, wie komplexe Unglücke besser juristisch aufgearbeitet werden können. Ein Vorschlag: Eine veränderte Verjährungsregelung.
Von Peter Hild
Nach der Idee der vom Landtag eingesetzten Expertenkommission soll eine mögliche Verjährung von Vorwürfen bereits mit dem Beginn einer Hauptverhandlung ausgeschlossen werden, nicht erst mit einem gesprochenen Urteil. Dafür müsste allerdings das Strafgesetzbuch vom Bundestag geändert werden.
Ein Abbruch mitten im Verfahren sei mit dem Gerechtigkeitsgedanken unvereinbar und trage vor allem aus Sicht der Betroffenen nicht zum Rechtsfrieden bei, erklärte der Leiter der Kommission, Clemens Lückemann, am Montag in Düsseldorf. Das Loveparade-Verfahren war unter anderem wegen der drohenden Verjährung im Mai 2020 ohne Urteile zu Ende gegangen. Damit sich so etwas nicht wiederholt, hatte die Expertenkommission vor anderthalb Jahren ihre Arbeit aufgenommen, in der Richter, Staatsanwälte, Opferanwälte, Strafverteidiger und Rechtsforscher aus ganz Deutschland mitgewirkt haben.
Das Ziel: Schneller und transparenter werden
Komplexe Verfahren sollen künftig schneller und transparenter ablaufen. Unter anderem sollten nach Meinung der Kommission zuständige Strafkammern von anderen Aufgaben entlastet werden. Stattdessen könnten sich Gerichtsmanager um zügigere Terminabsprachen und Abläufe kümmern. Vieles davon könnte ohne politische Beschlüsse umgesetzt werden.
Um komplexe Unglücke schneller aufarbeiten zu können, sollte es aus Sicht der Kommission bei allen Generalstaatsanwaltschaften Bereitschaftsteams geben, die dann die betroffenen Ermittlungsstellen kurzfristig unterstützen könnten. Wissenschaftliche Mitarbeiter sollten auch für Landgerichte und Staatsanwaltschaften verfügbar sein.
Objektives Verfahren über das Strafrecht hinaus
Ein Strafverfahren könne nur einen Teilausschnitt der vielfältigen Hintergründe und Ursachen eines Unglücks aufklären, betonte Lückemann. Das werde dem Aufklärungsinteresse gerade der Betroffenen und Angehörigen nicht gerecht. "Deshalb brauchen wir ein objektives Untersuchungsverfahren, das über das Strafrecht hinaus auch etwa zivilrechtliche Ansprüche beleuchten kann."
Die Kommission schlägt deshalb vor, dafür eine gemeinsame Institution von Bund und Ländern einzurichten, vergleichbar etwa mit der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung. Diese könnte dann immer bei größeren Unglücken zum Zug kommen und beim Aufbau einer bundesweiten Sachverständigendatenbank helfen, auf die Gerichte bei komplexen Verfahren zeitnah zugreifen können sollen.
Eine Forderung: Opfer einfacher entschädigen
Generell fordert die Kommission auch, die Belange der Opfer und Angehörigen stärker zu berücksichtigen. Eine Strafkammer soll schon während eines Verfahrens einen Mindestbetrag an Schadenersatz zusprechen können, ohne dass bereits Ansprüche durch erlittene Verletzungen oder andere Folgen eines Unglücks bewertet und anerkannt worden sind.
Eine Umsetzung der Vorschläge wäre ein wichtiger Schritt für einen besseren Opferschutz, sagte Julius Reiter, der als Anwalt rund 100 Betroffene und Angehörige im Loveparade-Verfahren vertreten und auch in der Kommission mitgearbeitet hat.
NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) kündigte an, noch vor der Landtagswahl im Mai in seinem Ministerium die Umsetzung der Vorschläge anzustoßen. Für die notwendigen gesetzlichen Änderungen kündigte Biesenbach eine Initiative der Landesregierung im Bundesrat an, voraussichtlich auf der nächsten Justizministerkonferenz im Juni.