Deutsche Umwelthilfe: Ungereimtheiten beim Dienstwagen-Check
Stand: 24.07.2024, 06:00 Uhr
Politiker sind wichtige Vorbilder, sagt die Deutsche Umwelthilfe und prüft einmal im Jahr deren Dienstwagen auf Klimaschädlichkeit. NRW ist im Ländervergleich in Sachen CO2-Ausstoß immer ganz hinten. Wie aussägekräftig sind solche Vergleiche?
Von Franka Hennes und Thomas Drescher
Es gibt ein paar verlässliche Rituale im politischen Jahreslauf: Die Neujahrsansprache des Kanzlers, der politische Aschermittwoch - und der jährliche Dienstwagen-Check der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Hier werden die Dienstwagen von etwa 250 deutschen Politikerinnen und Politikern auf ihre Klimaschädlichkeit untersucht. Je nach CO2-Ausstoß werden grüne, gelbe und rote Karten verteilt, in einem Länderranking wird dokumentiert, welche Landesregierung mit ihrer Dienstwagenflotte das meiste CO2 ausstößt. Der Check kommt pünktlich, sobald sich das Sommerloch auftut - was maximale Aufmerksamkeit sichert.
Spitzenreiter Reul und Wüst
NRW schneidet auch in 2024 wieder schlecht ab: Vorletzter Platz unter den 16 Bundesländern. Hendrik Wüst und Herbert Reul führen die Flop-Liste an. Sie fahren einen gepanzerten Audi A8, Verbrauch 16,7 Liter auf 100 Kilometer, CO2-Ausstoß laut Umwelthilfe: 380 Gramm CO2 pro Kilometer.
Herbert Reul führt die Flop-Liste 2024 an
Der EU-Flottengrenzwert beträgt 95 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer. Das bedeutet, der durchschnittliche CO2-Ausstoß aller Fahrzeuge, die in einem Jahr in der EU neu zugelassen werden, soll diesen Grenzwert nicht überschreiten. Die Limousinen von Wüst und Reul stoßen vier Mal so viel aus.
"Symbole der klimafeindlichen Verkehrspolitik"
Neben Wüst und Reul stehen auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner und die Berliner Innensenatorin Iris Spranger an der Spitze der Flop Liste. "So fahren der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst und der Regierende Berliner Bürgermeister Kai Wegener Symbole der klimafeindlichen Verkehrspolitik ihrer Verbrenner-Lobby Partei CDU", heißt es in der Pressemitteilung der DUH zum diesjährigen Dienstwagen-Check.
Wegener und Spranger fahren laut Umwelthilfe einen normalen Audi A8. Doch die Audis in Berlin weisen die gleichen Emissionswerte auf wie die gepanzerten Pendants in Düsseldorf - was uns zu Nachfragen veranlasst.
Ein normaler Audi A8 Beziner mit 250 PS stößt 219 Gramm CO2 pro Kilometer aus. Über so ein Auto verfügt zum Beispiel der hessische Justizminister. Wieso aber haben die Autos von Wegner und Spranger in Berlin 420 PS und stoßen so viel mehr CO2 aus?
Dienstwagen der NRW-Regierung im Überblick
Diese Autos fahren NRW-Regierungsmitglieder:
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Schwere Geschütze
Wir fragen bei Audi nach. Sondergeschützte Fahrzeuge haben ein sehr hohes Gewicht. Für eine angemessene Beschleunigung brauchen sie sehr kräftige Motoren. Ein Insider verrät uns, dass ein Wagen mit hoher Schutzklasse auf locker vier bis fünf Tonnen Gewicht kommt, ein gewöhnlicher Audi A8 wiegt etwa die Hälfte. So erklärt sich der höhere CO2-Ausstoß.
Bei Audi wird der Schutz ab Werk eingebaut. In einem Audi A8 Security sind beispielsweise die Wände und Scheiben des Fahrzeugs gepanzert. So machen es übrigens auch BMW und Mercedes-Benz, wie sie uns auf Anfrage mitteilen.
Audi, BMW und Mercedes sind die drei Hersteller, die das politische Spitzenpersonal bevorzugt. Sonderschutzausstattung kann auch von Fremdfirmen nachgerüstet werden. Das Gewerbe ist verschwiegen. Wer bei wem Kunde ist, bleibt vertraulich. Was wir aber erfahren: Es gibt zehn Sicherheitsstufen, die sogenannte Vehicle Resistance (VR). Diese gibt an, vor welchen Art Angriff - beispielsweise Beschuss mit verschiedenen Waffen oder Geschossen - das Auto geschützt ist. Ein Wagen mit VR10 ist stärker geschützt als einer mit VR1, damit schwerer und schlechter in der Umweltbilanz.
Wegner und Spranger fahren also keinen gewöhnlichen Audi. Die Berliner Senatskanzlei bestätigt dem WDR, dass beide aus Sicherheitsgründen das gepanzerte Modell "Audi A8 L Security" fahren. Diese Angabe fehlt allerdings in der Tabelle der Umwelthilfe.
Immer mehr Widersprüche
Bei immer mehr Politikerinnen und Politikern fallen uns Unstimmigkeiten der im Dienstwagen-Check angegebenen Verbräuche auf. Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, soll laut Tabelle ebenfalls einen sondergeschützten Audi A 8 L fahren, der laut DUH Dienstwagen-Check 7,6 Liter Diesel verbraucht und 196 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt. Ein sondergeschütztes Auto mit einer so viel besseren CO2-Bilanz? Gibt es das?
Audi hat uns bestätigt, dass der A8 L Security nur mit Benzin Antrieb geliefert wird. Daniel Günther soll aber einen Diesel fahren.
Ähnliche Widersprüche fallen auf bei Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), bei Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und den saarländischen Finanzminister Jakob von Weizsäcker (SPD). Sie alle fahren laut DUH Dienstwagen-Check sondergeschützte Fahrzeuge, deren Verbrauch und CO2-Ausstoß aber eher zu einem Serienmodell passt.
Wir fragen bei den zuständigen Staatskanzleien und Ministerien an, welche Angabe zutrifft: die zum Sonderschutz oder zum Verbrauch.
Die erste Antwort kommt aus Schleswig-Holstein: Daniel Günther fährt kein sondergeschütztes Fahrzeug, dieser Fehler sei der Deutschen Umwelthilfe bereits gemeldet und korrigiert worden, sagt man uns.
Sonderschutz oder nicht?
Und wie sieht es bei den andern aus? Auch hier bekommen wir Antworten der Ministerien und Staatskanzleien, allerdings verbunden mit der Bitte, wegen der Gefährdung der jeweiligen Politikerinnen und Politiker keine konkrete Angabe zum Sonderschutz zu veröffentlichen. Zwei Spitzenpolitiker verzichten freiwillig auf sondergeschützte Fahrzeuge, hier stimmt also der Verbrauch in der Tabelle, nicht aber die Angabe "sondergeschützt". Eine weitere befragte Person fährt auch kein sondergeschütztes Fahrzeug, weil sie keine besondere Schutzstufe hat. Auch hier ist die Angabe "sondergeschützt" falsch.
Die anderen fahren laut ihren Ministerien oder Kanzleien sondergeschützte Fahrzeuge. Welche Schutzstufe sie haben, erfahren wir aus Sicherheitsgründen nicht. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass deren Fahrzeuge mit zusätzlicher Schutzausrüstung den gleichen Verbrauch haben, wie ungeschützte Serienmodelle. Es gebe, sagt und die Deutsche Umwelthilfe später, durchaus leichten Schutz, der den Verbrauch kaum beeinflusse.
Geht Klimaschutz mit Panzerung?
Die fehlerhaften Angaben erwecken den Eindruck, Politiker, denen die Behörden zu einem gepanzerten Fahrzeug raten, hätten tatsächlich eine Wahl zwischen klimaschädlichen Benzinfressern, wie Wüst und Reul sie nutzen, und sehr viel klimafreundlicheren Wagen. Stimmt das?
Mercedes und Audi teilen uns mit, ihre gepanzerten Limousinen gebe es weder mit Diesel- noch mit Hybrid- oder Elektroantrieb. Einzig BMW produziert einen elektrischen 7er mit Panzerung. In der Tabelle der DUH taucht der aber nicht auf.
Wir bitten die Deutsche Umwelthilfe um eine Stellungnahme. Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH, weist jede Verantwortung für fehlerhafte Angaben zurück. "Es hat auf Seiten der DUH keine Fehler bei der Bearbeitung der betreffenden Fälle gegeben, wie die nochmalige Überprüfung ergeben hat." Der Fehler liege, so Metz, bei den Staatskanzleien und Ministerien, die dem WDR und der Umwelthilfe unterschiedliche Informationen gegeben hätten. Die DUH, so wird uns erklärt, verschicke jedes Jahr Fragebögen, die die zuständigen Dienststellen ausfüllen müssten. Es handele sich um Anfragen nach dem Umweltinformationsgesetz. Die Behörden seien zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet. Man werde aber nach den WDR-Recherchen erneut auf die entsprechenden Stellen zugehen und gegebenenfalls korrigieren.
In dem Fragebogen gibt es unter anderem die Antwortmöglichkeit "Nutzung eines personengebundenen Dienstwagen (sondergeschützt)", welche laut Barbara Metz von den Büros der oben genannten Politikerinnen und Politikern ausgewählt wurde. Zusätzlich fordert die Umwelthilfe die EG-Übereinstimmungsbescheinigung ein, darauf sind die technischen Daten des jeweiligen Fahrzeugs und unter anderem der Verbrauch vermerkt.
Fragwürdige Vergleiche
Die Frage, die sich im Laufe der Recherchen stellt, lautet: Wieso werden überhaupt sondergeschützte Fahrzeuge, die ja niemand wirklich freiwillig nutzt, mit ungepanzerten Serienfahrzeugen verglichen? Die jeweilige Gefährdungseinstufung dieser Personen beurteilt die Polizei. Warum müssen sich Politikerinnen und Politiker, die einen besonderen Schutz benötigen, öffentlich an den Pranger stellen lassen?
Wir fragen die Deutsche Umwelthilfe, ob sie die sondergeschützten Dienstwagen künftig aus dem Ranking herauslassen will? Für Barbara Metz würde das nichts an der Botschaft des Dienstwagen-Checks ändern: "Selbst wenn wir diese Fahrzeuge ganz aus der Berechnung nähmen, kommt es wegen der insgesamt sehr umwelt- und klimaschädlichen Fahrzeugflotten nur zu ein paar kleineren Verschiebungen. NRW würde zwar etwas nach vorne rücken, aber nach wie vor zur schlechteren Hälfte der Landesregierungen gehören."
Die Aussagekraft des Dienstwagen-Checks werde nach Ansicht der DUH-Chefin auch dann nicht verringert, wenn sondergeschützte Fahrzeuge aus der Berechnung ausgelassen werden oder wenn stattdessen das Pendant des Wagens in Serienausstattung betrachtet werden würde.
Die Bürgerinnen und Bürger, die den Dienstwagen-Check betrachten, sagt Barbara Metz, sollen selber entscheiden, ob sie die höheren Emissionen infolge der Sonderschutzausstattung in Ordnung finden.
Vielleicht hilft auch diese Recherche bei der Meinungsbildung.
Über dieses Thema berichten wir am Mittwoch u.a. im Hörfunk, etwa in der Sendung Westblick auf WDR 5.