Robert Habeck hat vor einigen Jahren erzählt, dass er als 15jähriger Naseweis das Buch „Das Prinzip Verantwortung“ begeistert verschlungen hätte. Es sei ein Lebensbegleiter geworden, so der Grüne. Das Werk stammt von Hans Jonas, einem deutschamerikanischen Philosophen, der aus Mönchengladbach kam und schon in den Siebzigerjahren auf die Bedeutung der ökologischen Frage hingewiesen hat. Der Erhalt der Lebensgrundlagen sei ein ethisches Gebot, wir müssten bereits heute an die Folgen unseres Handelns für künftige Generationen denken.
Es mag diesem Politikverständnis geschuldet sein, dass Habeck und seine Parteifreundin aus NRW, Mona Neubaur, im Oktober 2022 auf die verwegene Idee kamen, den Braunkohleausstieg im Schulterschluss mit RWE um ganze acht Jahre vorzuziehen, von 2038 auf 2030. „Ein Meilenstein für den Klimaschutz“ nannte Habeck die Einigung: „Wir müssen uns der Verantwortung gegenüber kommenden Generationen stellen.“ Hans Jonas hätte das gefallen.
Doch politische Verantwortung ist mehr, als wagemutig das zu tun, was man in der Sache für richtig hält. Verantwortung in der Politik meint auch, sein Blatt nicht derart zu überreizen, dass am Ende absehbare Enttäuschungen stehen. Dafür hält die Politik in den letzten Jahren viele Beispiele parat, das jetzt offensichtliche Scheitern der Kohle-Ausstiegspläne 2030 ist ein besonders eklatanter Fall.
Der Plan war von Anfang an ehrgeizig und er hätte nur unter idealen Bedingungen funktioniert, sprich: wenn es genügend Reservekapazitäten auf dem Kraftwerksmarkt gäbe. Dass Habeck selbst vor allem daran gescheitert ist, die Weichen für den Bau von Gaskraftwerken zu stellen, gehört genauso ins Bild wie der wachsende Energiebedarf. Jetzt das vorzeitige Ampel-Aus dafür verantwortlich zu machen, ist eine Nebelkerze. Das Kraftwerkssicherheitsgesetz würde, selbst wenn es verabschiedet worden wäre, nicht ausreichen.
Damit stehen die Grünen in NRW vor einem Scherbenhaufen. Tröstlich kann für sie allenfalls sein, dass auch die CDU mitgehangen und mitgefangen ist. Denn im Koalitionsvertrag nehmen beide gemeinsam den Mund ziemlich voll und versprechen, dass man NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion des Kontinents machen werde. Zur Halbzeitpause können die Koalitionäre jetzt überlegen, wie sie ihrer Strategie ein fälliges Update verpassen. Denn angesichts der Probleme in der Industrie des Landes, drohenden Jobverlusten, einer echten Strukturschwäche und unübersehbaren Krisensymptomen verschieben sich gerade die Prioritäten.
Dumm nur, dass der riskante Habeck-Neubaur-Deal die Steuerzahler jede Menge Geld kosten dürfte. Wenn die Braunkohlemeiler im Rheinischen Revier über 2030 hinaus laufen, wird das ein teurer Plan B. Von den Klimafolgen ganz zu schweigen. Dem Prinzip Verantwortung wird man so jedenfalls nicht gerecht.
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