Koalitionsvertrag - Streit versus Kompromiss | Aktuelle Stunde

02:43 Min. Verfügbar bis 14.04.2027

Koalition irritiert mit Widersprüchen: "Geht das Gezicke wieder los?"

Stand: 14.04.2025, 15:36 Uhr

In der nagelneuen Regierungskoalition aus Union und SPD gibt es zu Migration und Mindestlohn Verwirrung. Nach vier Jahren Ampel-Zankereien irritiert das viele. Politikwissenschaftler von Alemann ist dennoch zuversichtlich.

Von Nina Magoley

Es wirkt wie ein Déjà-vu: Gerade erst hat sich die neue Regierungskoalition auf ein gemeinsames Programm geeinigt, da gibt es schon Unstimmigkeiten. Zum Beispiel zum Thema Migration, aber auch zum Mindestlohn.

Merz relativiert Klingbeils Aussagen zum Mindestlohn

SPD-Chef Lars Klingbeil bekräftigte am Sonntag eine Anhebung auf 15 Euro - für CDU-Chef Friedrich Merz scheint das gar nicht so sicher. Gleich zweimal trat Merz am Sonntag in die Öffentlichkeit - einmal in einem Interview mit der Bild-Zeitung, dann am Abend in der ARD-Sendung "Caren Miosga".

Der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler sorgte mit seinen Auftritten für einige Verwirrung. Zunächst auch bei Ulrich von Alemann, langjähriger Professor für Politik an der Uni Düsseldorf: "Geht das Gezicke jetzt schon wieder los?", habe er sich am Sonntagabend gefragt.

Beim Koalitionspartner SPD sorgte Merz' Vorstoß prompt für Verstimmung, berichtete Hauptstadt-Korrespondentin Dagmar Pepping am Montagmorgen im WDR Radio:

Koalitionsvertrag eher Willenserklärung als juristischer Vertrag

Ulrich von Alemann

Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann

"Natürlich hat die Bevölkerung es nach vier Jahren Ampel-Streit satt, dass ewig nur diskutiert wird und nicht gehandelt", sagt von Alemann. Aber wir erlebten derzeit nunmal auch ein "historische Situation" - allein angesichts des Kriegs in der Ukraine und des von US-Präsident Trump angezettelten Handelskriegs. "Politiker müssen sehen, dass sie die Verantwortung jetzt tragen und sich nicht wieder mit Debattieren beschäftigen."

Wenn jetzt um Inhalte des Koalitionsvertrags debattiert wird, dürfe man das allerdings nicht allzu hoch hängen, rät von Alemann: "Es ist kein Vertrag im juristischen Sinne, sondern eine Willenserklärung von zwei Parteien, eine Orientierung - aber kein Vertrag wie beispielsweise ein Kaufvertrag für ein Haus, wo alles vom Notar geregelt wird."

Regierung selber kann Mindestlohn nicht festlegen

Und bei der Debatte um den Mindestlohn müsse man bedenken, dass die neue Regierung gar keinen Mindestlohn selber festlegen kann. Das übernehme vielmehr die Mindestlohn-Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Ihr könne die Regierung lediglich Ratschläge geben. Daher sei die Passage dazu im Koalitionsvertrag auch "ein bisschen diffus" formuliert.

Dennoch bezweifelt Korrespondentin Dagmar Pepping, dass es "so besonders geschickt war, am Tag, bevor die SPD mit dem Mitgliederentscheid beginnt, zwei so große Aufschläge zu machen". AbDienstag stimmen die Sozialdemokraten darüber ab, ob sie dem Koalitionsvertrag zustimmen oder nicht. Der Bundesverband der Jungsozialen erklärte bereits seine Ablehnung. Die Jusos verlangen "deutliche Nachbesserungen".

Politiker müssen Soziale Medien mitdenken

Finger zeigt auf Facebook-App, die auf einem Smartphone-Bildschirm neben X, WhatsApp, Telegram, TikTok, Threads angezeigt wird.

"Jeder, der ein Smartphone bedienen kann..."

Die Verantwortung der handelnden Politiker sei im Zeitalter der sozialen Medien nochmal erhöht, sagt Politikprofessor von Alemann: "Jeder, der ein Smartphone bedienen kann, kann sich zu Wort melden - mit Wut, Kritik, Opposition." Darauf müssten Politiker heutzutage stärker Rücksicht nehmen. "Sie müssen schon einkalkulieren, wie ihre kritischen Worte, wenn sie sie in den Sendungen formulieren, ankommen."

Sollten die Koalitionäre besser hinter den Kulissen streiten? Nein, sagt Alemann. Auch trotz Sozialer Medien dürfe in Berlin jetzt "keine Friedhofsruhe herrschen" zwischen den einzelnen Parteien. "Da muss und wird weiterhin diskutiert werden." Jede Diskussion als Streit zu deklarieren, sei falsch. "Man muss damit rechnen, dass Diskussionen auch missbraucht werden in den Sozialen Medien. Aber völlig auf Diskussionen zu verzichten, wäre der Demokratie nicht angemessen." 

Quellen:

  • WDR-Gespräch mit Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann
  • WDR-Radiointerview mit Korrespondentin Dagmar Pepping
  • Nachrichtenagentur DPA