"Krass! Das hört gar nicht mehr auf", sage ich zu meinem Kameramann. Beim Blick nach hinten kann ich nicht erkennen, wo der Protestzug durch Essen-Rüttenscheid wohl endet, über den ich berichten werde. So viele Menschen haben sich der Demo angeschlossen. 500 Teilnehmende hatten die Veranstalter erwartet - es kommen fast 7.000, bestätigt mir die Polizei. Sie alle sind bereit, bei eisigen Temperaturen vom gemütlichen Sofa aufzustehen und zu protestieren gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Und nicht nur hier. Tausende, Zehntausende, Hunderttausende gehen auf die Straße in diesen Tagen.
Nachgefragt bei den Leuten in Essen, warum sie mitgehen, sagt mir eine Frau:
Eine andere ist vor allem schockiert von den Vertreibungsfantasien einiger AfD-Funktionäre: "Und deswegen müssen wir auf diesen Demos ein Zeichen setzen, dass Menschen mit Migrationshintergrund willkommen sind und sie dazugehören zu unserer Gesellschaft."
Ein Zeichen setzen… Aufstehen… Als der Beitrag zur Demo fertig ist und ich wieder zuhause bin, denke ich mir: Das ist auf Dauer nicht genug. Von diesen Demos muss mehr ausgehen als ein Symbol, wenn unsere Demokratie bestehen bleiben soll. Und als Bürgerin bin ich überzeugt: Wir müssen ins Handeln kommen. Wir müssen etwas tun für die Mitmenschen, die potenziell bedroht sind und gegen die Leute, die meinen, sie könnten unsere Demokratie untergraben.
Weniger Symbolismus - mehr Handeln!
Aber was können wir als Gesellschaft konkret tun? Eine Frage, die mich selbst und viele Freundinnen, Bekannte, Kollegen beschäftigt, mit denen ich in den vergangenen Tagen darüber gesprochen habe. Es gibt da einige Ideen. Wird das einfach? Mit Sicherheit nicht. Es wird anstrengend, unangenehm, aufwühlend. Aber das sollte uns eine vielfältige, offene, freie Gesellschaft ja wohl wert sein.
Es fängt vielleicht damit an, dass wir uns klar machen, was diese (noch abstrakte) Bedrohungslage schon ganz konkret mit Menschen in unserem Land macht. Diese Tage war ich in Bochum bei einer Podiumsdiskussion. Mit dabei ist Burak Yilmaz, Pädagoge und Autor, engagiert sich gegen Antisemitismus und Rassismus. Er erzählt davon, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund gerade auf gepackten Koffern sitzen. Dass sie überlegen, wohin sie denn wohl auswandern würden, wenn die AfD tatsächlich Wahlen gewinnt, wenn das Klima in Deutschland noch extremer wird.
Neben Burak Yilmaz sitzt Nicole Pastuhoff und nickt eifrig. Sie ist Präsidentin des Jüdischen Studierendenverbands NRW. Einen Plan B überlegten sich gerade auch viele Jüdinnen und Juden. "Wenn Menschen auf die Straße gehen, dann rücken solche Gedanken, ob man das Land verlassen muss, ein bisschen in den Hintergrund. Aber sie verschwinden nicht", sagt Yilmaz. Da schwingt eine Forderung mit. Und Nicole Pastuhoff spricht sie aus: "Ich würde mir wünschen, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft dafür geradesteht, dass sich Nachbarn, Kollegen, Mitschüler sicher fühlen in diesem Land."
Bedrohte Minderheiten in unsere gesellschaftliche Mitte holen
Und wie geht das? Hinhören, fragen, reden. Wir müssen aufeinander zugehen. Wir können Nachbarn, Kollegen, Freunde fragen, wie es ihnen gerade geht, welchen Zuspruch sie brauchen. So holen wir die Menschen in unsere gesellschaftliche Mitte, die die Rechtsextremen ausgrenzen wollen.
Was wir vor allem auch machen müssen: uns schützend vor sie stellen. Natürlich dann, wenn wir mitbekommen, dass jemand beleidigt oder bedroht wird. Wir müssen aber auch laut werden, unsere Stimme erheben, wenn wir Stammtischparolen über "die Ausländer" hören, wenn der Onkel am Kaffeetisch über "die Muslime" hetzt, wenn eine Bekannte antisemitische Verschwörungsmythen teilt. Und ja, an der Stelle wird's richtig anstrengend. Das kostet Überwindung und Mut, den Konflikt auszutragen.
Glücklicherweise gibt es dafür mittlerweile richtig gute Bücher und Trainings. Zusammen mit einer Freundin habe ich mich jetzt für einen VHS-Kurs angemeldet. Denn Argumente parat zu haben und das Geschwurbel des Gegenübers zu zerlegen, das ist Übungssache. Und ich denke mir: Selbst wenn ich es in der Situation nicht schaffe, den anderen umzustimmen, dann bekommen aber vielleicht andere schwankende Personen aus der Runde meine Argumente mit. Dann bleiben Feindseligkeiten und Hetze nicht unwidersprochen im Raum stehen und werden immer mehr zu etwas Sagbarem.
Das ist etwas, was den demokratischen Parteien gerade nicht gut gelingt. Zu wenig halten sie dagegen, zu oft nähern sie sich sprachlich der AfD an. Politikerinnen und Politiker - die sich der Wirkung ihrer Worte sehr bewusst sind - stellen sich hin und sprechen wie Olaf Scholz von "im großen Stil abschieben" oder wie Friedrich Merz von "Sozialtourismus" unter Geflüchteten oder wie Christian Lindner von Asylbewerbern, die Geld bekämen "fürs Nichtstun".
Demokratische Parteien zu klarer Abgrenzung auffordern
Und von anbiedernden Worten ist es manchmal nicht mehr weit bis zu anbiederndem Verhalten. Zwar beschwören die Parteien eine "Brandmauer" zur AfD, sagen, sie würden nicht mit ihr zusammenarbeiten. Aber was heißt das genau? Gerade erst wurden AfD-Kandidaten zu Richtern an Bayerns Verfassungsgerichtshof gewählt - mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern im bayerischen Landtag.
"Genau da fängt es an", sagt mir ein Freund, Araber, der seit fünf Jahren in Deutschland lebt und arbeitet. Er habe nicht so sehr Angst, dass er plötzlich auf offener Straße von Rechtsradikalen bedroht wird. "Ich sehe eine Gefahr für mich in den staatlichen Strukturen, in den Behörden, die zum Beispiel über meinen Aufenthaltsstatus entscheiden." Dass sich Gesetze oder Verordnungen verändern, weil AfD-Leute oder andere radikale Kräfte in Parlamenten sitzen und daran mitschreiben. Oder weil demokratische Parteien plötzlich Zugeständnisse machen für Stimmenfang am rechten Rand.
Es kann nicht bis zur nächsten Wahl warten, um zu zeigen, dass das nicht ok ist. Stattdessen kann man Protest an solcher Rhetorik und solcher Politik in lokale Ortsgruppen der Parteien tragen oder den Landtags- und Bundestagsabgeordneten schreiben. Klingt vielleicht lächerlich banal, aber wenn viele das tun, werden sich die Politikerinnen und Politiker Sorgen um ihre Wählergunst machen und hoffentlich handeln.
Und natürlich kann man auch selbst politisch aktiv werden - muss ja nicht in Parteien sein. Überall bei den Demos laufen Bündnisse und Organisationen mit, die schon seit Jahren Anti-Rassismus-Arbeit machen, sich gegen Rechtsextremismus engagieren und Demokratieförderung betreiben. Ich denke da zum Beispiel an die "Omas gegen Rechts" - sehr aktiv mit vielen kleinen Ortsgruppen. In Bochum tauchen die Mitglieder etwa immer dann auf, wenn die AfD einen Infostand in der Innenstadt aufstellt. Während die AfD ihre Werbebroschüren verteilt, klären die "Omas gegen Rechts" direkt nebenan in ihrem Pavillon auf, was die wahren Absichten der Partei sind. Einfach, gewaltfrei, effektiv.
Kommentare zum Thema
Die grosse Mehrheit der Kommentare lässt sich so zusammenfassen: "Wir sind nicht für die AfD aber wir sind gegen alles, was uns fremd ist und die AfD verspricht, am meisten gegen alles was uns fremd ist zu tun." (Der Originaltext von Fritz Thyssen (???) lautete in etwa "Wir waren nicht für Hitler, aber wir waren gegen die Kommunisten und Hitler versprach, am meisten gegen die Kommunisten zu tun")
Millionen AfD-Wähler bleiben diesen Demos fern und lassen sich durch die tägliche Hetze gegen diese Partei nicht beeinflussen. Warum wurden hier eigentlich die Termine der Demos gegen den Corona-Wahnsinn nicht täglich veröffentlicht?
Komisch, gestern fand in Köln eine Demo der fff-Jünger statt, über die man nix aber auch gar nichts auf WDR hört oder liest Es waren nicht dir erwarteten 5 tausend plus X Teilnehmer sondern wesentlich weniger. Das passt natürlich nicht in's Bild des rot/grünen ÖRR, aber die Teilnehmerzahlen werden weiter fallen, abwarten und die Berichterstattung auch.