Der Hamas-Terror auf Instagram und Co.

Aktuelle Stunde 14.10.2023 UT Verfügbar bis 14.10.2025 WDR Von Meike Hendriksen

Bilder der Gewalt aus Nahost: Wie kann ich mich schützen?

Stand: 18.10.2023, 17:56 Uhr

Der Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten geht einher mit grauenhaften Bildern. Dazu kommen die Aufnahmen der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen, die uns noch länger begleiten werden - auch in sozialen Netzwerken. Was machen solche Bilder mit uns und wie können wir uns schützen?

Von Oliver ScheelOliver Scheel

Es sind Bilder von unmenschlicher Grausamkeit, die die Welt aus Israel erreichen. Tote Babys im Kibbuz, wahllos getötete Festivalbesucher und völlig enthemmte Täter, denen jeglicher Respekt vor den Opfern fehlt.

Dazu kommen nun auch noch die Fotos und Videos von den Gegenschlägen des Israelischen Militärs. Eingestürzte Häuser, Menschen, die in den Trümmern nach ihren Angehörigen suchen, Familien, die nur mit dem nötigsten versuchen, vor Krieg und Zerstörung zu flüchten.

Was machen diese Bilder mit uns und wie schützen wir unsere Seele?

Das Stichwort hier heißt Resilienz: Resilienz, so beschreibt es der Neurowissenschaftler Raffael Kalisch vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz, bedeutet, "gesund zu bleiben, obwohl ich schweren Belastungen ausgesetzt bin". Resilienz kommt vom lateinischen resiliere, was etwa zurückfedern oder wieder auf die Beine kommen bedeutet. Fest steht: Wer resilient ist, ist psychisch stabil.

Wie schütze ich mich vor Kriegsnachrichten?

Bei all den Kriegsnachrichten aus aller Welt, die uns derzeit erreichen, beschleicht viele das Gefühl der Angst. Wir haben Menschen in Nordrhein-Westfalen gefragt, wie sie mit solchen Nachrichten umgehen. Ob sie sich trotzdem informieren - oder ob sie die Nachrichten meiden. Hier sind ihre Antworten:

Jantin Hoelkeskamp zur Frage: Wie schütze ich mich vor Kriegsnachrichten?

Jantin Hoelkeskamp aus Wuppertal: "Auf Social Media kommt viel über das Kriegsgeschehen. Ich möchte die Augen nicht davor verschließen, aber wenn ich merke, es ist zu belastend, mache ich die App zu. Dann muss ich mich mit etwas anderem beschäftigen. Es nimmt mich schon sehr mit, berührt mich sehr."

Jantin Hoelkeskamp aus Wuppertal: "Auf Social Media kommt viel über das Kriegsgeschehen. Ich möchte die Augen nicht davor verschließen, aber wenn ich merke, es ist zu belastend, mache ich die App zu. Dann muss ich mich mit etwas anderem beschäftigen. Es nimmt mich schon sehr mit, berührt mich sehr."

Dieter Vonderstein aus Düsseldorf: "Man kann die Nachrichten gar nicht mehr sehen, es passiert so viel Schreckliches auf der Welt. Ich versuche mich morgens und abends zu informieren, aber ich kann mich auch nicht allem annehmen."

Daniela Milewski aus Duisburg: "Ich bekomme die Krise, wenn sich Menschen hassen. Ich sehe jeden Menschen gleich, solange jeder nett ist."

Philipp Soggeberg aus Dülmen: "Ich informiere mich nach wie vor, weil ich wichtig finde, was in der Welt passiert. Es ist aber schon beängstigend, was gerade passiert. Da macht man sich Sorgen, was das jetzt für uns bedeutet."

Jokob Zimmermann aus Dortmund: "Die Nachrichten sind sehr negativ. Die ziehen mich sehr runter. Deswegen schaue ich mir die Nachrichten in abgeschwächter, in satirischer Form an. Wenn ich mehr Infos will, schaue ich bei YouTube gängige Formate, die die Sachlage von jeder Seite beleuchten."

Ina Schimmel aus Düsseldorf: "Ich folge vielen Nachrichtenkanälen und informiere mich den ganzen Tag über. Manchmal überlege ich, die Push-Nachrichten auf dem Handy abzustellen, weil es mir zu viel wird."

Julia Mohr aus Dortmund: "Ich gucke nicht ständig Nachrichten. Wenn, dann ist es mir wichtig, dass es seriöse Nachrichten sind. Weil viel Propaganda und Falschinformation passiert."

Marie Kullik aus Münster: "Ich versuche, mich zu informieren. Aber ich bin nicht immer auf dem aktuellsten Stand, weil mir einfach die Motivation dafür fehlt, weil es einfach belastend ist, wenn man das liest."

Verena Hinz aus Bochum: "Ich achte auf bewussten Medienkonsum. Wenn ich mich zu viel mit den ganzen schlimmen Nachrichten beschäftige, macht mich das verrückt. Lieber bewusst informieren anstatt sich alles andauernd anzugucken oder jedes veröffentlichte Video zu schauen. Das nimmt mich sonst zu sehr mit."

Sabine Thomsen aus Düsseldorf: "Ich finde es wichtig, mich zu informieren. Aber wenn ich merke, dass mir alles zu viel wird mit den schlechten Nachrichten, mache ich eine Realitätsflucht und lese ein Buch oder schaue einen Film mit Happy End."

Carina Rothstein aus Wuppertal: "Ich kann teilweise morgens nicht das Radio anmachen, und wieder hören, dass Familien nicht nach Hause kommen oder ihre Kinder nicht sehen können. Vor allem, wenn man selber Mama ist, betrifft einen das alles sehr. Man hört ja immer und überall davon. Mit Freunden treffen wie jetzt gerade und Kaffee trinken, das ist das einzige, was hilft."

Andreas Milewski Duisburg: "Es geht mir schlecht, ich habe Angst, dass es zu einem Weltkrieg kommen kann, ich lasse möglichst wenig an mich ran - denn 24/7 mit den Nachrichten macht die Angst nur schlimmer."

Organ Cem aus Dinslaken: "Es ist soviel Emotionalität dabei, aber ich will Ruhe bewahren und nicht reagieren und ich sehe extra wenig Nachrichten, damit ich in Ruhe nachdenken kann. Aber vergessen will nicht."

Psychische Belastungen nehmen zu

Die zurückliegenden Jahre waren für Millionen Menschen in unserem Land extrem herausfordernd. Erst die Pandemie mit all ihren persönlichen Einschränkungen, dann der Krieg in der Ukraine mit den wirtschaftlichen Folgen für uns, der ungelöste Umgang mit der Klimakrise und nun dem brutalen Überfall der Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten.

Interview: psychische Gesundheit während Krisen

WDR Studios NRW 10.10.2023 08:50 Min. Verfügbar bis 17.10.2025 WDR Online


All dies hat Folgen. Die beruflichen Fehlzeiten wegen psychischer Belastungen nahmen im ersten Halbjahr 2023 um 85 Prozent zu. Laut einer Untersuchung der Kaufmännischen Krankenkasse KKH mit 1,6 Millionen Versicherten stiegen die Fehlzeiten, die auf seelische Leiden zurückzuführen sind, auf 303 Ausfalltage pro 100 Versicherte.

Der aktuelle AOK-Fehlzeitenreport belegt dies: In den vergangenen zehn Jahren sind nach AOK-Angaben die Fehltage am Arbeitsplatz wegen psychischer Erkrankungen um fast die Hälfte gestiegen. Durchschnittlich hätten sich Mitarbeitende im vergangenen Jahr an 29,6 Tagen je Fall wegen psychischer Beschwerden krank gemeldet. Ein Plus von 48 Prozent. Eine alarmierende Entwicklung.

Mit Resilienz Krisen gut überstehen

Warum können manchen Menschen mit Krisen besser umgehen als andere? Warum rutschen manche in Depression und Burnout, während andere mit beiden Füßen im Leben bleiben? Es geht darum, persönliche Strategien zu entwickeln, nicht psychisch krank zu werden. Aber wie?

Resilienz lasse sich lernen, so Kalisch in seinem aktuellen Buch. Wer in allem Übel der Welt noch etwas Gutes finde und das neuronale Belohnungssystem aufrecht erhalte, habe gute Karten bei der Bewältigung von Krisen.

Oder: "Wenn die Schutzfaktoren stärker sind als die Risikofaktoren, kann man eine Krise oder sogar eine traumatische Erfahrung gut überstehen", so beschreibt es das Bundesgesundheitsministerium. Eine sogenannte kognitive Verhaltenstherapie könne helfen, durch eine Änderung des Verhaltens und der Gedanken die Gefühle positiv zu beeinflussen. 

Wie umgehen mit den Bildern der Gewalt aus Israel?

Die Bilder der hemmungslosen Gewalt an völlig schutzlosen und unschuldigen Zivilisten in Israel kursieren derzeit im Netz. Diese Bilder haben einen Einfluss auf uns. "Auf der faktischen Ebene sorgen diese Bilder dafür, dass wir ein zu negatives Weltbild bekommen. Wir sehen die Welt noch schlechter, als sie ohnehin schon ist", sagt Neurowissenschaftlerin Maren Urner von der Hochschule für Medienkommunikation und Wirtschaft an der Uni Köln.

Angriff der Hamas auf ein Techno Festival in Israel

Blick auf das Festivalgelände nach dem Angriff der Hamas.

Einfach wegzuschauen, hält sie aber nicht für eine Lösung. Die Augen zu verschließen, führe auch nicht zu einer Verbesserung der Zustände. Vielmehr sei die Dosis an Nachrichten und die richtige Auswahl entscheidend.

"Unser Gehirn funktioniert nicht wie ein Computer. Die Informationsverarbeitung hört nicht auf mit der Aufnahme von Information. Unser Gehirn arbeitet im Hintergrund daran weiter", so Urner im WDR. Denn das Körperliche sei mit dem Psychischen eng verbunden. So könnten aus dem Konsum negativer Nachrichten tatsächlich Krankheitsbilder und sogar Schmerzen entstehen.

Deshalb rät Christian Schicha, Professor für Medienethik an der Uni Erlangen-Nürnberg, auch dazu, nicht alle diese Bilder zu teilen und zu konsumieren. "Natürlich muss die Gesellschaft informiert über die Ereignisse in Israel sein. Man kann Dinge erzählen und beschreiben und Informationen darlegen, ohne diese Horrorbilder zu zeigen", sagt Schicha dem WDR. Denn es sei klar, dass auch Kinder, Jugendliche und sensible Menschen diese Bilder zur Kenntnis nehmen.

Was kann und muss ich als User tun?

Beim Teilen von gewalttätigen Inhalten sollte geprüft werden, ob die Nachrichten einen seriösen Hintergrund haben, so Schicha. Sonst sei Zurückhaltung zu empfehlen. Und: Nur Quellen verwenden, "mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat. Journalisten reflektieren ja auch, was sie zeigen."

Sowieso sei es immer empfehlenswert, nicht Emotionen und Impulsen nachzugeben, sondern erst einmal darüber nachzudenken, welche Wirkung die Bilder haben können. Auf gar keinen Fall sollten Bilder von Opfern geteilt werden.

Außerdem empfiehlt der Experte "Sprechen, Reden, Reflektieren. Der Austausch mit anderen, auch Face to Face" sollte genutzt werden, um solche Dinge zu verarbeiten.

Wie rede ich mit meinen Kindern darüber?

Wenn Kinder etwas in Angst und Schrecken versetzt, dürfen sie nicht ihrer Fantasie überlassen bleiben. Das Kinderhilfswerk UNICEF rät dazu, den Kindern ein Gefühl von Geborgenheit zu geben und ihnen Hoffnung zu machen.

Die Wahrheit solle "ans Alter angepasst werden". Das heißt: Mit Pubertierenden kann über Krieg rational und offen gesprochen werden, mit einem fünfjährigen Kind nicht.

Unsere Quellen:

  • Leibniz-Institut für Resilienzforschung
  • Bundesgesundheitsministerium
  • UNICEF
  • Psychologie heute
  • Tagesschau.de