Zehn Jahre nach dem Germanwings-Absturz | Aktuelle Stunde
Aktuelle Stunde . 23.03.2025. 12:41 Min.. UT. Verfügbar bis 23.03.2027. WDR. Von Justine Rosenkranz.
Germanwings-Absturz: Zehn Jahre nach dem Unbegreiflichen
Stand: 24.03.2025, 18:33 Uhr
Heute gedenken viele Menschen der Opfer des Absturzes einer Germanwings-Maschine vor zehn Jahren. An Bord waren 150 Menschen, darunter auch eine Schulklasse des Joseph-König Gymnasiums aus Haltern am See. Auf dem Schulhof gab es eine interne Gedenkfeier.
Von Markus Holtrichter
Um 10.41 Uhr, dem Zeitpunkt des Absturzes, läuteten Kirchenglocken in Haltern am See. Der Schulleiter Christian Krahl verlas die Namen der bei dem Absturz getöteten 16 Schülerinnen und Schüler, sowie der beiden Lehrerinnen. Es folgte eine Schweigeminute.

Schüler legen in Beisein von Schulleiter Christian Krahl weiße Rosen nieder.
Dann sprach NRW-Schulministerin Dorothee Feller zu den versammelten mehr als 1.000 Schülern, Lehrern, ehemaligen Mitschülern der Opfer und natürlich auch Angehörigen. Die Ministerin sagte, Zeit könne die Wunden bis heute nicht heilen. Anschließend legten Klassensprecherinnen und Klassensprecher weiße Rosen vor der stählernen Gedenktafel auf dem Schulhof ab.
Schock nach dem Absturz
Ulrich Wessel erinnert sich noch an jedes Detail des Tages, an dem ihm die schreckliche Nachricht erreichte. Der ehemalige Schulleiter des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern war auf einer Tagung, als er eine Nachricht aus dem Sekretariat bekam, er möge sich dringend melden. "Bei meinem Anruf erfuhr ich, dass ein Flugzeug abgestürzt sei."
Da werden doch wohl nicht unsere Schüler abgestürzt sein? Die kommen heute zurück. Ulrich Wessel, damaliger Schulleiter des Joseph-König-Gymnasiums

Ulrich Wessel, ehemaliger Schulleiter, erinnert den Tag der Tragödie gut.
Endgültige Gewissheit brachte wenige Stunden später ein Anruf der damaligen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sie teilte Ulrich Wessel mit, dass 16 Schülerinnen und Schüler, sowie zwei Lehrerinnen seines Gymnasiums tatsächlich an Bord der Maschine von Barcelona mit dem Ziel Düsseldorf waren. Sie kehrten nicht vom Schüler-Austausch zurück.
Haltern in Schockstarre und im Fokus der Medien
Mit der Stadt Haltern am See und natürlich auch dem Flughafen Düsseldorf wurde die Katastrophe für Medien aus aller Welt hierzulande greifbar.

Trauernde Schüler auf dem Schulhof des Joseph-König-Gymnasiums
"In den ersten Tagen prasselte so viel auf uns ein. Wir waren bemüht, uns vor die Schüler zu stellen und auch Ansprechpartner für sie zu sein, sie in ihrem Schrecken nicht alleine zu lassen“, blickt Ulrich Wessel zurück.
Gedenkstätte nahe Le Vernet in Frankreich
In das kleine Bergdorf Le Vernet in Frankreich, in der Nähe der Absturzstelle, sind heute 400 Angehörige gekommen, um der Opfer zu gedenken. Zunächst fand eine offizielle Trauerfeier statt.
Die bunten Blumengestecke fanden kaum Platz vor der Gedenktafel auf dem kleinen Friedhof in Le Vernet. Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, des Landes NRW, von Spanien und Frankreich waren gekommen, um Kränze niederzulegen und der Toten zu gedenken. Der heutige Tag steht ganz im Zeichen der Angehörigen und ihrer Trauer. "Dieser Absturz hat in der ganzen Welt Entsetzen ausgelöst. Zehn Jahre danach ist der Schmerz noch so lebendig, die Zeit konnte ihn nicht lindern", sagte der französische Präfekt.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist heute noch eine zweite Trauerfeier geplant. Im Anschluss wollen einige Angehörige in die Nähe der Absturzstelle hinaufwandern, um der Opfer zu gedenken.
Wie das Licht der Sterne, so bleibt Dein Leuchten in unseren Herzen Inschrift eines privaten Grabsteines der Angehörigen
Absturz schweißt Eltern zusammen
Viele der Eltern aus Haltern treffen sich weiterhin regelmäßig. Die Tragödie hat sie zusammengeschweißt. Aus der Leidensgemeinschaft sind Freundschaften entstanden. Außerdem gibt es weiterhin einen speziellen Gedenkraum im Gymnasium. Hier werden Bilder und Erinnerungen, Briefe an die Verstorbenen oder auch Gedichte aufbewahrt. Der Raum ist stets geöffnet.
Theater erinnert an Schülerin
In einer kleinen Gasse, etwas versteckt, aber mitten im Herzen Halterns, liegt das Lea Drüppel Theater. Lea war 15 Jahre alt, als sie an Bord des Flugzeugs saß.

Das Lea Drüppel Theater in einer Gasse in Haltern am See.
Das Mädchen war schauspiel- und musicalbegeistert. Ihre Mutter Anne und viele Mitstreiter haben mit dem Theater ein lebendiges Andenken geschaffen. Es ist ein etablierter Ort für Theater, Musik und Kleinkunst entstanden.
Seelsorge nach der Katastrophe
Seelsorgerin Cäcilia Scholten erinnert sich an die Zeit vor zehn Jahren, und was sie und andere Seelsorger damals tun konnten: "Erst mal nur da sein. Wir haben es mit den Eltern in der Schule ausgehalten. Wir haben das Schreien gehört, die Verzweiflung in den Gesichtern gesehen. Da geht es erst mal ums Aushalten…. Und nach und nach werden Menschen sprachfähig und können auch über das Geschehene berichten."
Heute ist sich Seelsorgerin Cäcilia Scholten sicher, dass die Menschen ganz unterschiedlich mit der Situation umgehen: "Vernarbte Wunden reißen wieder auf. Die heilen ja nie ganz aus, bei so einem plötzlichen, unerwarteten Tod, ohne Abschied. (...) Es wird einige geben, die lange brauchen, um wieder zu heilen, aber es gibt auch etliche, die diesen schrecklichen Tod verarbeitet haben und die sagen, das ist wichtig, ein Gedenken zu haben, die Schülerinnen, Schüler und Lehrerinnen nicht zu vergessen."
Sammelklage gegen Luftfahrtbundesamt
Unterdessen dauert die rechtliche Aufarbeitung der Tragödie weiter an. Das Landgericht Braunschweig befasst sich aktuell mit Klagen von 32 Angehörigen. Sie fordern Schmerzensgeld vom Luftfahrtbundesamt, sehen bei der Behörde eine Mitschuld an der Tragödie.
Es geht um den Co-Piloten der betreffenden Germanwings-Maschine, Andreas Lubitz. Er brachte die Maschine laut internationaler Ermittlungen bewusst zum Absturz, nahm Medikamente, hatte psychische Probleme. Die Klägerinnen und Kläger sagen, Lubitz hätte daher nie für eine Piloten-Ausbildung zugelassen werden dürfen.
Was sich seither geändert hat
Zumindest in Deutschland ist es seit 2015 auch vorgeschrieben, dass alle professionellen kommerziellen Flugbetriebe ihren Piloten Zugang zu einem sogenannten "Peer Support" bieten müssen. "Peer Support" - zu deutsch: "Unterstützung auf Augenhöhe" bietet eine beratende Funktion durch Kollegen. Laut dem Online-Angebot der Lufthansa vermittle man außerdem "das passende Maß an professioneller Hilfe" in Form von spezialisierten Psychotherapeuten, Fliegerärzten, Kliniken und einer professionellen Fachaufsicht. Darauf weist Andreas Spaeth, Journalist für Luftfahrt, im Gespräch mit dem WDR hin:
Unsere Quellen:
- Reporter vor Ort
- Joseph-König-Gymnasium Haltern
- Ulrich Wessel, ehemaliger Schulleiter Joseph-König-Gymnasiums
- Gespräche mit Angehörigen
- Landgericht Braunschweig