Ein euphorisches Fußball-Fest mit Deutschland-Fähnchen, Autospiegel-Überzieher und Nationalmannschaft-Trikots? Das war einmal! Im deutschen Alltag ist die Fußball-WM, die am Sonntag in Katar beginnt, so gut wie nicht präsent. Das liegt nicht nur daran, dass eine Fußballweltmeisterschaft erstmals nicht im Sommer stattfindet. Katar steht als WM-Gastgeber vor allem wegen der Menschenrechtslage in der Kritik.
Das wirkt sich auch auf die Stimmung in Deutschland aus: Fan-Artikel zur Fußball-WM in Katar werden zum Ladenhüter. Mehr als 72 Prozent der Deutschen sind einer repräsentativen Umfrage zufolge nicht bereit, Geld dafür auszugeben. Die Kauflust der Fußballfans sei so niedrig wie nie zuvor, heißt es in jetzt vorgestellten Untersuchung der Universität Hohenheim.
Bis zu 50 Prozent weniger Trikots verkauft
Diese Ergebnisse decken sich mit einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der ARD-"Sportschau" und des "Morgenmagazins" von ARD und ZDF: 56 Prozent der von "infratest dimap" Befragten gaben an, das Turnier im Wüstenstaat ignorieren zu wollen. Weitere 15 Prozent wollen weniger Spiele als sonst angucken. In gewohnter Weise wollen nur 18 Prozent die WM verfolgen.
Dieses Desinteresse wirkt sich konkret aus: Die Sportfachhandelsketten "Intersport" und "Sport2000" erwarten dieses Jahr deutlich weniger Umsätze mit Fußballweltmeisterschaftsartikeln als bei früheren Turnieren. "Intersport" hat 20 bis 30 Prozent weniger WM-Trikots und andere Fan-Artikel geordert. "Sport2000" hat 40 bis 50 Prozent weniger Trikots als bei der vorherigen WM verkauft.
Geringe Nachfrage nach Sammelbildern
Der Sammelbild-Hersteller Panini erwartet im Vergleich mit früheren Turnieren ebenfalls ein deutlich schlechteres Geschäft. "Wir haben unsere Verkaufserwartungen gegenüber den vorherigen WM-Turnieren schon im Vorfeld nach unten angepasst", sagte der Geschäftsführer des Panini-Verlags, Hermann Paul, der "Augsburger Allgemeinen" vom Mittwoch. Grund sei vor allem der späte Zeitpunkt.
"Wir wussten bereits im Vorweg, dass die diesjährige WM im Spätherbst stattfindet, zu einer hierzulande recht ungemütlichen Jahreszeit", sagte Paul. "Also ohne Grillfeste, ohne 'gemütliches' Public Viewing. Und dann finden in diesem engen zeitlichen Umfeld ja auch noch weitere Wettbewerbe wie Bundesliga oder Champions League statt."
Fan-Forscher: Zunehmendes Unbehagen
Allerdings scheint die Zurückhaltung der Fans nicht allein an Katar zu liegen. Die Umfrage der ARD-"Sportschau" hatte auch ergeben, dass neben der Kritik am Gastgeber genau die Hälfte aller Befragten angab, ein Desinteresse am Fußball allgemein zu haben.
Auch der Fan-Forscher Harald Lange hält die WM-Vergabe nach Katar nicht für komplett ursächlich für den kritischer werdenden Blick auf die Branche. Es sei vielmehr ein wachsendes Unbehagen über bestimmte Entwicklungen in der Parallelwelt Profifußball feststellbar, sagte der Würzburger Professor für Sportwissenschaften im "Sportclub" des NDR. "Da schwingt ganz viel Enttäuschung, Frustration und aufkommendes Desinteresse an diesem Fußball-Zirkus mit."