EM - Verkehrschaos oder gutes Management?

Aktuelle Stunde 23.06.2024 37:13 Min. UT Verfügbar bis 31.12.2024 WDR Von Anna Deschke

Fußball-EM: Europa zu Gast im Bahn-Chaos

Stand: 25.06.2024, 12:44 Uhr

Wer in Deutschland lebt, dürfte sich an Verspätungen und Ausfälle bei Bahn und ÖPNV gewöhnt haben. Anders ist das bei vielen Fußball-Fans aus dem Ausland. Durch die EM verbreiten sich ihre Erfahrungen über Medien und Social-Media-Posts nun weltweit.

Von einem angenehmen Sommer für die schottischen Fußballfans in Deutschland schreibt die offizielle Fan-Vereinigung Association of Tartan Army Clubs vor ein paar Tagen bei Facebook. Es mache großen Spaß, bei der Europameisterschaft mit vielen ausländischen Fans zusammen zu kommen. Gelobt werden sogar die Klos in Köln.

Schottische Fußball-Fans auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln

Schottische Fußball-Fans auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln

Besonders mies jedoch sei die Erfahrung vieler Fans mit dem Nahverkehr gewesen. Die Züge zu und von den Stadien in München und Köln seien unzuverlässig, gefährlich überfüllt und brütend heiß. Die Fans seien weit über die akzeptable Kapazität hinaus eingepfercht, heißt es weiter. Wenn sich daran nichts ändere, sei es nur eine Frage der Zeit, bis ein Unfall passiere. Den schottischen Fans wird geraten: Wer kann, sollte nach dem Spiel besser zu Fuß vom Stadion zurück in die Stadt laufen.

Daily Mail: "entsetzliche Szenen" am Bahnsteig

Englische Fans waren "bestürzt" über das, was sie beim Spiel gegen Serbien in Gelsenkirchen erleben mussten. Die englische Zeitung "Daily Mail" berichtete sogar von "entsetzlichen Szenen", als tausende Fans nach der Partie stundenlang auf Bahnen warten mussten, die sie vom Schalker Stadion in Richtung ihrer Unterkünfte bringen sollten.

Und selbst in Amerika wurde das wahrgenommen. Die New York Times schrieb: "Effizienz. Verlässlichkeit. Zweckmäßigkeit: Das ist, was viele Menschen am meisten mit Deutschland assoziieren – aber bisher hat sich bei der Europameisterschaft 2024 keines dieser Klischees bewahrheitet." Der U-Bahn- und Zugverkehr in den Austragungsstädten sei unter der zusätzlichen Nachfrage zusammengebrochen.

Besonders heftig erwischte es offenbar einige österreichische Fans, die zum EM-Auftakt ihrer Nationalmannschaft gegen Frankreich mit dem Zug anreisten. Die "Kronen"-Zeitung erzählte die Geschichte von einem Vater, der mit dem Sohn frühmorgens in Wien losfuhr, dann in Passau und Würzburg strandete, zwischendurch auf Taxi und Bus ausweichen musste und schließlich erst mit mehrstündiger Verspätung im Düsseldorfer Stadion ankam. Als die beiden ihre Plätze erreichten, waren schon 70 Minuten gespielt.

Turnierdirektor Lahm wegen Bahn-Verspätung zu spät im Stadion

Und es sind nicht nur die ausländischen Fans, die von der Bahn auf die Probe gestellt werden: Hatte Turnierdirektor Philipp Lahm vor einem Jahr noch freudig die Partnerschaft der Deutschen Bahn mit der UEFA bekanntgegeben, dürfte ihm das Lächeln – zumindest für einen Moment – vergangenen sein. Lahm selbst kam wegen der Bahn nicht rechtzeitig zum Spiel Slowakei gegen die Ukraine ins Düsseldorfer Stadion.

EM-Botschafter Philipp Lahm, DB-Chef Richard Lutz und Bundesverkehrsminister Volker Wissing

Partnerschaft zwischen DB und UEFA zur EM 2024 (Archiv)

Ein Bahnsprecher entschuldigte sich später dafür: "Immerhin die zweite Halbzeit konnte er im Stadion schauen. Entschuldigung, lieber Philipp Lahm!" In Richtung der enttäuschten Fans sagte Lahm am Montag: "Wir stehen im Austausch mit der Deutschen Bahn, sie werden alles weiterhin tun, dass die Menschen von A nach B wirklich pünktlich kommen". Aber das sei kein Problem, das erst jetzt während des Turniers auftrete, so der 40-Jährige. 

Ich glaube, wir haben es versäumt, insgesamt als Deutschland in den letzten Jahrzehnten ein bisschen daran zu arbeiten an der Infrastruktur Philipp Lahm, Ex-Nationalspieler und EM-Turnierdirektor

Der Fahrgastverband Pro Bahn sieht den schlechten Ruf der Bahn durch die Probleme während der Fußball-EM bestätigt - und hofft auf Besserung. Wenn sich die ganze Welt "über unser Bahnsystem lustig macht, hoffe ich, dass dies auch ein Weckruf für die Politik ist", sagte Verbandschef Detlef Neuß der "Rheinischen Post".

Bahn dankt für "Geduld und Umsicht"

Doch es ist auch nicht alles schlecht bei der Bahn zur Fußball-EM. Turnierdirektor Philipp Lahm beteuert: "Insgesamt, ich bin jetzt zehn Tage mit der Bahn unterwegs, bin ich zu den meisten Dingen sehr, sehr pünktlich gekommen."

Und in ihrer Bilanz der ersten EM-Woche schreibt die Deutsche Bahn zwar auch von "Störungen auf Hauptachsen des Schienenverkehrs", die es immer wieder gegeben habe. Man danke allen Fans für ihre Geduld und Umsicht.

Aber es heißt auch: "So viel Bahn wie bei der EM in Deutschland gab es noch nie bei einem internationalen Fußballturnier". Drei Millionen Reisende seien in der ersten Spielwoche mit den ICE- und IC-Zügen unterwegs gewesen, die Bahn biete rund um die Spieltage 10.000 zusätzliche Sitzplätze am Tag an.

Belgien und weitere EM-Teams reisen mit der Bahn

Und diese Sitzplätze nutzen auch einige Nationalmannschaften, die bei der Fußball-EM antreten. Bei der EM 2016 in Frankreich seien noch mehr als 75 Prozent der Reisen von Teams zu den Spielen mit dem Flugzeug erfolgt, teilte die UEFA mit. 2024 in Deutschland seien nur noch 25 Prozent der Reisen per Flugzeug geplant. Am Boden wird zwar viel der Mannschaftsbus genutzt, auch vom deutschen Team.

Belgische Nationalmannschaft kommt am Kölner Hauptbahnhof an

Belgische Nationalmannschaft am Kölner Hauptbahnhof

Doch es gebe auch mehr Bahnreisen, so die UEFA. Es würden sieben Teams bei der EM mit der Bahn zu den Spielen fahren, 2016 sei es nur eins gewesen. Für viel Aufmerksamkeit sorgte etwa die Anreise der belgischen Nationalmannschaft per Zug zum Spiel in Köln. Laut Bahn ist aber die Nationalmannschaft der Schweiz in der Gruppenphase "Reise-Europameister im Bahnfahren". Während der Vorrunde sei das Team fünf Mal mit dem ICE unterwegs gewesen.

Bier-Verkauf im Bordbistro verdoppelt

Und dass die Stimmung in den Zügen während der EM nicht nur genervt ist, dafür dürften auch diese Zahlen sprechen: Insgesamt wurden in den Bordbistros der Bahn zwischen dem 14. und 19. Juni mehr als 44.000 Liter Bier verkauft. Das ist doppelt so viel wie sonst üblich. Über die Zahlen hatte zuerst die "Bild am Sonntag" berichtet. Besonders beliebt war außerdem das Bratwurst-Brötchen. Hier gab es ein Plus von 63 Prozent.

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