Steigende Temperaturen: Hitzefrei ja oder nein? Aktuelle Stunde 08.09.2023 26:52 Min. UT Verfügbar bis 08.09.2025 WDR Von Martina Koch

27 Grad im Klassenzimmer: Diskussion um Hitzefrei an NRW-Schulen

Stand: 09.09.2023, 11:07 Uhr

Es ist heiß in der ersten Septemberwoche 2023. An einigen Schulen in NRW gibt es deswegen Hitzefrei, an anderen nicht. Das sorgt unter Schülern, Lehrern und Eltern für Diskussionen.

Die Luft im Zimmer steht, das Thermometer auf dem Lehrerpult zeigt 27 Grad. Trotzdem findet an der Janusz-Korczak-Gesamtschule in Neuss noch Unterricht statt. Bei zugezogenen Vorhängen sitzt die Klasse 6d im Klassenzimmer und guckt einen Film. Viele Schüler fächeln sich mit Büchern oder anderen Gegenständen Luft zu.

Schulleiter verteidigt Unterricht trotz Hitze

Schüler sitzen bei 27 Grad in einem abgedunkelten Neusser Klassenzimmer | Bildquelle: WDR

Am Vormittag haben sie sogar noch einen Mathetest geschrieben. Schulleiter Achim Fischer findet das an so einem Tag in Ordnung: "Als die Schüler heute morgen den Klassenraum betreten haben war es deutlich unter 25 Grad. Und wir sprechen von Unterstufen- oder Mittelstufen-Schülern. Die sind dann durchaus in der Lage in der dritten oder vierten Stunde eine Arbeit zu schreiben. Ich würde jetzt keine vierstündige Oberstufenklausur schreiben lassen."

Weil am Janusz-Korczak-Gymnasium der Unterricht freitags nach dem Mittag endet, war für ihn auch Hitzefrei heute kein Thema. Andere Schulen haben das in dieser Woche durchaus anders gehandhabt. So hat zum Beispiel die Gesamtschule Heiligenhaus am Donnerstag ab 11:30 Uhr Hitzefrei gegeben. An der Gesamtschule Duisburg Süd hatten die Jahrgangsstufen 5 bis 10 am Mittwoch und Donnerstag nach der sechsten Stunde Schluss und am Thusnelda-Gymnasium in Köln gab es ab dem Mittag Kurzstunden, das heißt die einzelnen Unterrichtsstunden waren 30 statt 45 Minuten lang.

Seltener Hitzefrei an Grundschulen

Grundschulen stehen hier vor einem besonderen Problem. Weil an vielen Schulen Kinder im offenen Ganztag betreut werden und die Eltern arbeiten, gebe es dort kaum noch Hitzefrei, sagt Birgit Völxen von der Landeselternschaft der Grundschulen NRW: "Durch OGS merken Eltern seltener dass Unterricht ausfällt. Die Schulen machen bei Hitze eher andere Formen des Unterrichts, der Anteil der Kinder, die nach Hause kommen, ist drastisch nach unten gegangen."

Schulleitung entscheidet über Hitzefrei

Ob und wann es Hitzefrei gibt, entscheidet die jeweilige Schulleitung. Eine Schulvorschrift regelt, dass dies ab 27 Grad Raumtemperatur in Klassenzimmern zumindest in Erwägung gezogen werden sollte. Einen Anspruch auf Hitzefrei gibt es aber in keinem Fall. Bei einer Temperatur unter 25 Grad ist Hitzefrei überhaupt nicht möglich. Bei 26 Grad Raumtemperatur hat die Schulleitung einen Ermessensspielraum. Komplett ausgenommen von der Hitzefrei-Regelung sind die Schüler der Sekundarstufe zwei, also der gymnasialen Oberstufe ab Klasse 11. Sie müssen in der Schule lernen, egal wie heiß es ist.

Kritik an Hitzefrei-Verbot für Oberstufenschüler

Das kritisiert Thaddäus Hildemann von der Landesschüler*innenvertretung NRW: "Die Hitze beeinflusst nachweisbar Konzentration sowie Lernerfolg und gefährdet zu häufig die Gesundheit. Hitzefrei muss auch in der Oberstufe gewährt werden können." Zumindest solange das Land nicht durch bauliche Maßnahmen Abhilfe schaffe, wie Klimaanlagen in Klassenräumen und bessere Dämmung.

Bei großer Hitze wird in Neuss auch schon mal draußen gelernt | Bildquelle: WDR

Dirk Heyartz, Vorstand der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW hält hingegen nichts von generellem Hitzefrei. Es falle ohnehin schon viel Unterricht aus. Hitzefrei zu geben, wenn eine bestimmte Gradzahl erreicht ist, sei deswegen nicht angebracht: "Man kann so viel machen statt den Unterricht ausfallen zu lassen, man kann den Unterricht verkürzen und mehr Pausen machen, man kann statt Frontalunterricht in den Schulgarten gehen."

Unterricht im "Grünen Klassenzimmer" nicht überall möglich

Das sei allerdings nicht an allen Schulen gleich gut möglich, gibt Birgit Völxen von der Landeselternschaft der Grundschulen zu bedenken: "Wenn ich eine Innenstadtschule ohne Bäume habe, kann ich nicht nach draußen gehen. An vielen Schulen ist der Schulhof eine Asphalthölle und verschärft das Problem nur." Stattdessen müssten bei Planung und Bau von Schulen die Themen Hitze und Lärm viel stärker berücksichtigt werden.

Thaddäus Hildemann, der selbst an einer Gesamtschule in Mönchengladbach die 13. Klasse besucht, sieht bei dem Thema ganz klar das Land am Zug, ansonsten könnte auch beim Thema Hitze an Schulen die soziale Schere auseinander gehen, "weil Schulen in ärmeren Kommunen dann seltener Klimaanlagen und gut isolierte Gebäude haben, als Schulen in reichen Kommunen."

Land gegen Distanzunterricht bei Hitze

Eine baldige Sanierung der Schulen in NRW hält er allerdings für illusorisch. Also muss in Zeiten des Klimawandels pragmatisch mit der Hitze umgegangen werden. Unterrichtsausfall durch Hitzefrei mit Distanzunterricht zu begegen, hält das Schulministerium allerdings für ungeeignet. Durch Hitzefrei sollen "die Schülerinnen und Schüler vor mit erhöhten Temperaturen in Innenräumen verbundenen Gesundheitsrisiken geschützt werden. Mit Distanzunterricht ist das nicht möglich." Denn die Schulen hätten keine Kontrolle über die Lernsituation zuhause.

Für zu hoch gekocht hält die ganze Diskussion um Hitzefrei Stefan Behlau, der Vorsitzende der Gewerkschaft VBE: "Auch wenn Diskussionen um Kleiderordnungen oder Hitzefrei sicherlich Aspekte des schulischen Lebens betreffen, darf nicht vergessen werden, dass das größte Problem, das wir bei nahezu allen Schulformen haben, der Lehrkräftemangel ist. Wahrscheinlich fällt mehr Unterricht aufgrund des Personalmangels aus als im Falle des sogenannten Hitzefrei."