Schuldenberg mit Allzeithoch: Komisch oder "back in the game"? Aktuelle Stunde 18.03.2025 36:23 Min. UT Verfügbar bis 18.03.2027 WDR Von Henry Bischoff

Staatsschulden: Belastung für die Enkel oder sinnvolle Investition?

Stand: 18.03.2025, 16:25 Uhr

Die Milliardenschulden, die mit dem schwarz-roten Finanzpaket möglich werden, wirken auf viele schwindelerregend. Doch sind Schulden wirklich immer schlecht? Das sagen Wirtschaftswissenschaftler.

Von Ingo Neumayer

Eine historische Reform: Das Finanzpaket, das der Bundestag mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen beschlossen hat, bricht mit der deutschen Politik der vergangenen Jahrzehnte. Das Grundgesetz soll geändert werden, um drei große Vorhaben umzusetzen:

  • Die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit sollen nur noch bis zu einer Grenze von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – also etwa 44 Milliarden Euro – unter die Schuldenbremse fallen. Alles darüber Hinausgehende soll beliebig aus Krediten finanziert werden dürfen.
  • Die Bundesländer dürfen künftig Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des BIP aufnehmen dürfen. Bislang durften sie gar keine strukturellen Neuschulden machen.
  • Ein Sondervermögen wird geschaffen, um in Infrastruktur und Klimaneutralität zu investieren. Dieses soll von der Schuldenbremse ausgenommen und mit 500 Milliarden Euro aus Krediten gefüttert werden. Der Sondertopf soll für zwölf Jahre zur Verfügung stehen.

Nun sind Schulden für viele Menschen negativ besetzt. Schulden sollte man nach Möglichkeit vermeiden - man will schließlich nicht, dass am Ende ein Gerichtsvollzieher kommen muss. Allerdings gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen den Schulden, die ein Privathaushalt macht, und denen, die ein Staat aufnimmt.

Ökonom Carl Mühlbach | Bildquelle: Carl Mühlbach / WDR

Der Ökonom Carl Mühlbach, Gründer der NGO "Fiscal Future", erklärt das so: "Wenn ich mich als Privatperson verschulde, um ein Haus zu kaufen, möchte ich den Kredit in der Regel abbezahlt haben, bevor ich in Rente gehe, denn dann wird mein Einkommen reduziert. Der Staat geht aber nicht in Rente. Es wird immer Löhne und Gewinne in einer Wirtschaft geben, aus denen sich Steuereinnahmen generieren. Ich als Privatperson will irgendwann schuldenfrei sein, beim Staat ist das nicht so."

Merkels "schwäbische Hausfrau" ist nicht mehr gefragt

Bundeskanzlerin Angela Merkel prägte vor Jahren den Begriff der "schwäbischen Hausfrau" als Vorbild für die deutsche Finanzpolitik: sparsam, bedacht, risikoarm, möglichst wenig Schulden machen. Doch viele Ökonomen nahmen später Anstoß an dieser Metapher. Auch Carl Mühlbach: "Keine schwäbische Hausfrau würde zulassen, dass es in ihr Haus hineinregnet, weil das Dach nicht saniert wird. Die würde auch im Zweifelsfall einen Kredit aufnehmen, um ihr Haus instandzuhalten."

"Keine Schulden machen, fehlendes Unternehmertum:" Für Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat dieses sehr konservative Bild ebenfalls ausgedient. Einen "Luftikus" anstatt der Hausfrau wolle man aber auch nicht haben. "Denn in Zukunft muss der Staat noch viel stärker als bisher die Kapitalmärkte überzeugen, dass er ein guter Schuldner ist", so Heinemann. "Sonst schnellen die Zinsen nach oben, und wir geraten in die Bredouille."

Was sind "gute Schulden"?

Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner | Bildquelle: picture alliance/Panama Pictures/Dwi Anoraganingrum

Schulden haben ein schlechtes Image, weiß auch die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner, die den Thinktank "Dezernat Zukunft" begründet hat. Vor allem in der Politik: "Wählerinnen und Wähler mögen nie Schulden. Das gilt interessanterweise auch für Länder wie die USA oder Italien, wo man ja vielleicht etwas anderes annehmen würde. Aber am Ende zählt die Frage, ob es im Land funktioniert. Parteien werden wegen ihrer wahrgenommenen Wirtschafts- und Arbeitsmarktkompetenz gewählt." Schulden, sagt Sigl-Glöckner, seien weder generell gut noch generell schlecht. Es brauche eine differenziertere Diskussion, die weit über die Frage hinausgehe, ob wir "irgendwelche zufällig gesetzten Kennzahlen einhalten oder nicht".

Auch für Heinemann hängt die Schuldenfrage damit zusammen, wofür man sie macht: "Gute Schulden werden für die Interessen der zukünftigen Generationen verwendet: Für Investitionen, für eine wirksame Klimapolitik, für eine gute Technologie- und Bildungspolitik."

Schuldenbremse = Investitionsbremse?

Die Schuldenbremse, die 2009 beschlossen wurde, wird inzwischen von vielen Ökonomen in der jetzigen Form als überholt angesehen. "In den vergangenen Jahren hat die Schuldenbremse als Investitionsbremse gewirkt", sagt Mühlbach. "Dringend benötigte Investitionen wurden dadurch verhindert. Das Mindset des Sparens und Schuldenreduzierens hat dazu geführt, dass zum Beispiel die Deutsche Bahn viel unzuverlässiger ist als die Bahn in vielen Nachbarstaaten. Dass wir bei der Digitalisierung abgeschlagen sind. Dass wir in Bildungsstudien wie PISA abrutschen."

Philippa Sigl-Glöckner datiert den Investitionsstau in Deutschland sogar noch weiter zurück. "Im Grunde füllen wir heute noch die Schlaglöcher von Helmut Kohl. Der hat schon angefangen, bei Verkehr und Verteidigung sehr konsequent zu sparen."

Unbegrenzte Verteidigungsausgaben als Zeichen an Russland

Zu diesen wirtschaftlichen Altlasten kommt laut Sigl-Glöckner eine stark veränderte Lage, was Außenpolitik und Umwelt angeht: "Wir müssen zusätzlich sehr viele Investitionen tätigen zur Dekarbonisierung und in die Bundeswehr. Historische Fehler begleichen, außenpolitischen Bedrohungen entgegenwirken, viele Investitionen tätigen aufgrund einer stark veränderten Wirtschaft - das kommt jetzt alles sehr massiv."

Auch Heinemann sieht im Finanzpaket ein Zeichen an Russland: "Wir signalisieren: Deutschland ist in Zukunft nicht mehr durch das Grundgesetz begrenzt, wenn es darum geht, die Verteidigungsausgaben hochzufahren."

Ökonom Friedrich Heinemann | Bildquelle: picture alliance / dts-Agentur

Die Schuldenbremse ganz abzuschaffen, wäre für Heinemann allerdings keine Option. "Ihre Leitplanken werden wir weiter brauchen." Zudem sieht der Ökonom auch die Vorteile des Systems: Die Schuldenbremse habe dafür gesorgt, "dass wir heute Bewegungsspielraum haben. Die Tatsache, dass wir mal eben 500 Milliarden Euro lockermachen können, liegt genau daran: Dass wir eine Schuldenbremse haben. Italien könnte das nicht."

Das Finanzpaket und dessen wirtschaftliche Folgen

Ökonom Mühlbach ist 28 Jahre alt und "sehr glücklich" über das Paket - "sowohl als junger Mensch als auch als Ökonom." Er ist überzeugt: Letztendlich wird es sich rentieren: "Wenn wir jetzt Schulden aufnehmen, um in die Infrastruktur zu investieren, führt das zu mehr Wirtschaftswachstum und dadurch in Zukunft zu mehr Gewinnen und höheren Steuereinkommen. Die Schulden wachsen zwar, aber die Wirtschaft wächst stärker, wenn das Geld sinnvoll investiert wird. Unter dem Strich wird dann die Schuldenquote dadurch sogar sinken, sagen verschiedene Ökonomen."

Sigl-Glöckner ist zwar froh, dass man einen Kompromiss zur Finanzierung der Aufgaben gefunden hat. Sie sieht aber auch manche Punkte kritisch. Etwa, dass es für die Verteidigungsausgaben keine Begrenzung gibt: "Theoretisch könnten wir in den nächsten Jahren alle Soldatengehälter und -pensionen mit Schulden bezahlen. Das wäre dann nicht mehr generationengerecht." Ein weiteres Problem: "Die finanzpolitischen Regeln in Deutschland werden wahnsinnig komplex", so Sigl-Glöckner. "Es wird ein Albtraum werden, zukünftig einen Haushalt aufzustellen."

"Ein Pflaster, keine Dauerlösung"

Friedrich Heinemann bewertet das Finanzpaket "vorsichtig optimistisch". Ihm sei es wichtig, "dass es Vorkehrungen gibt, dass der Investitionsfonds nicht zweckentfremdet wird und man letztendlich doch wieder die nächste Mütterrente finanziert. Diese Gefahr ist ein Stück weit reduziert."

Dass mit dem nun beschlossenen Paket die kritische Finanzsituation des Bundes dauerhaft behoben ist, sollte man übrigens nicht glauben. Für Sigl-Glöckner ist es dann auch lediglich "ein Pflaster für die akute Situation, aber keine Dauerlösung." Um diese zu schaffen, müsste man die Schuldenbremse effektiv reformieren - ein Vorhaben, auf das auch Heinemann hofft. Wobei auch das bald kommen könnte. Denn CDU/CSU und SPD haben sich bereits auf eine entsprechende Reform geeinigt.

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
  • Wirtschaftswoche
  • Handelsblatt
  • Interviews mit Carl Mühlbach, Philippa Sigl-Glöckner, Friedrich Heinemann

Über dieses Thema berichtet der WDR am 18.03.2025 auch im Fernsehen, Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.