"Die englische Scheidung" von Margaret Kennedy

Stand: 28.05.2024, 07:00 Uhr

Ein Ehepaar, drei Kinder und nun die Scheidung, freundschaftlich und sehr zivilisiert – wenn nicht die anderen wären, Verwandte und Bekannte, die alle guten Vorsätze zum Kippen bringen. Eine Rezension von Jutta Duhm-Heitzmann.

Margaret Kennedy: Die englische Scheidung
Aus dem Englischen von Petra Post und Andrea von Struve.
Schöffling & Co., 2024.
352 Seiten, 24 Euro.

"Die englische Scheidung" von Margaret Kennedy Lesestoff – neue Bücher 28.05.2024 05:14 Min. Verfügbar bis 28.05.2025 WDR Online Von Jutta Duhm-Heitzmann

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Sie hat schon viel zu lange gewartet, findet Betsy, doch nun ist sie fest entschlossen:

"Alec und ich werden getrennte Wege gehen. Wir lassen uns scheiden."

Und zwar einvernehmlich und freundschaftlich, wie sie ihrer Mutter erklärt, zum Wohl aller Beteiligten: Ihr Mann braucht eine andere Art Frau; die drei Kinder spüren, dass die Eltern nicht mehr glücklich sind; und sie selbst, Betsy, immerhin schon 37, will ein anderes Leben und andere Freunde.

"Wir haben beide versucht, eine gute, gelingende Ehe zu führen, aber es hat nicht geklappt. Ich schreibe dir, weil wir beschlossen haben, die Sache so schnell wie möglich hinter uns zu bringen."

Eine erwachsene und vernünftige Lösung – wer könnte was dagegen haben? Wie sich herausstellt: fast alle. Ehemann Alec, Autor erfolgreicher Libretti, kann in dem gut funktionierenden Haushalt bequem arbeiten; Kenneth, Eliza und Daphne, konservativ wie alle Kinder, verabscheuen ohnehin jede Veränderung; die Schwiegermütter sind entsetzt und planen eine Gegenoffensive. Und die Freunde stürzen sich mit behaglichem Entsetzen auf den Skandal und suchen nach Gründen für das Ehedesaster. Briefe hin und her, Getuschel, Intrigen. Alec ist genervt:

"Ich hatte keine Ahnung, dass eine Scheidung heutzutage noch so ein Makel ist. Betsy hat mir immer versichert, dass das nicht der Fall ist, und viele unserer Freunde scheinen sie ohne größere Blessuren überlebt zu haben. Die Dinge werden ihren Lauf nehmen und irgendwann kräht kein Hahn mehr danach."

Margaret Kennedys Roman "Die englische Scheidung", im Original "Together and apart", "Zusammen und getrennt", erschien 1936, zu einer Zeit, als Scheidungen noch viel schwieriger und verpönter waren als heute. Trotzdem nahmen sie zu, auch im eigenen Bekanntenkreis – Futter für eine Autorin, die über eine scharfe Beobachtungsgabe verfügte und über das fabelhaftes Talent, Gesehenes und Gehörtes in brillante Bühnenstücke und Romane zu verwandeln. Sie war berühmt für ihren Witz und ihre satirische Schärfe, und doch ist der Roman durchtränkt von tiefem Verständnis für seine Personen. Alec zum Beispiel...

"...verspürte nicht das geringste Bedürfnis, sich zu trennen. Aber Betsy dachte, zu Unrecht, wie er fand, dass sie ohne ihn glücklicher wäre. Dabei würde sie auch weiterhin herumhetzen, würde mit zunehmendem Alter immer unzufriedener werden und sich fragen, was ihr zu ihrem Glück eigentlich fehlte."

Die klarsichtige Beschreibung der Erzählerin, vermischt mit den inneren Stimmen der Protagonisten – typisch für Margaret Kennedy. Sie analysiert ohne zu werten, vermeidet dramatische Spannungsbögen, was bei einer erfolgreichen Bühnenautorin schon fast verwundert, und zeigt das Leben als einen eher trägen Fluss, dessen Untiefen und Strömungen an ganz andere Plätze tragen als erhofft. Und so wird aus der freundschaftlich geplanten Scheidung von Betsy und Alec ein Rosenkrieg, angetrieben vom unheiligen Eifer anderer, mit Gerüchten, Unterstellungen und verletzten Eitelkeiten.

"'Du und deine Mutter (...). Du kannst ihr sagen, dass sie sich damit keinen Gefallen getan hat. Wenn du glaubst, dass du mich auf diese Weise halten kannst (...).' 'In Ordnung, ist mir egal. Ich gehe. Morgen bin ich weg. Du bist es nicht wert (...).' 'Ja, geh! Geh nur!'"

Alles bricht auseinander – und führt doch mit der Zeit zu einem anderen Leben: Betsy heiratet einen adligen, einflussreichen Cousin, Alec das ehemalige Kindermädchen, das ihn  abgöttisch liebt, die Kinder, heranwachsend, entdecken sich allmählich selbst. Und sogar die moralisierenden Freunde beruhigen sich.

Margaret Kennedys Romane wurden in den 50er Jahren auch in Deutschland viel gelesen, dann aber vergessen. Jetzt sind sie in neuer Übersetzung wiederzuentdecken, süffisant und manchmal leicht boshaft, lebensnah und klug – und ganz und gar modern. Auch mit ihren stilleren Weisheiten.

"Im Lärm des Lebens nimmt man die sanften Töne nur selten wahr. (…) Sie brechen sich wie Wellen an einem fernen Strand; dennoch sind sie es, die den größten Widerhall in der menschlichen Seele finden."