"Die Hochstapler" von Tom Rachman

Stand: 25.06.2024, 07:00 Uhr

Nach außen hin spielen sie die erfolgreichen, genialen Schriftsteller, in Wirklichkeit jonglieren sie auf einem gefährlich schmalen Grad zwischen Selbsterhöhung und Absturz. Eine Rezension von Jutta Duhm-Heitzmann.

Tom Rachman: Die Hochstapler
Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
dtv, 2024.
416 Seiten, 25 Euro.

Irgendwann, findet Dora Frenhofer, reicht es einfach. Sie ist, nein, sie war eine eher mittelmäßige Schriftstellerin, doch mit dem bisschen Erfolg, den sie sich hatte erschreiben können, ist es vorbei.

"Aber wie, fragte sie sich, setzt man sich als Schriftstellerin zur Ruhe? Hinterlässt man eine Notiz auf dem Küchentisch? Und wenn man allein lebt?"

"Zur Ruhe setzen" – eine verwaschene Bezeichnung für das, was sie wirklich plant: ihr Leben selbst zu beenden. Und zwar bewusst und zur richtigen Zeit, wie man gleich zu Beginn des Buches erfährt.

"Nun gab es bei diesem Plan ein Problem: Handle zu früh, und du bringst dich um einen lebenswerten Teil deines Lebens. Handle zu spät, und du handelst nie."

"Die Hochstapler" von Tom Rachman Lesestoff – neue Bücher 25.06.2024 05:32 Min. Verfügbar bis 25.06.2025 WDR Online Von Jutta Duhm-Heitzmann

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Damit sind zwar Anfang- und Endpunkt des Romans gesetzt. Doch dazwischen verblüffen Geschichten von und über Menschen, deren Rolle nur schwer einzuordnen ist. Wie dieser indische Beamte, der die Geburtenrate der Welt durch Strafgelder auf neu geborene Kinder senken will.

Die queere Frau in Los Angeles, die Texte für erfolgreiche Comedians schreibt, bis sie durch eine Intrige in ei­nen Social Media-Shitstorm gerät. Der junge Syrer, der bei einem Heimatbesuch brutal gefoltert wird. Oder der Schriftsteller, der auf einem Kongress den überragenden Künstler gibt, dahinter aber den von seiner Frau verachteten Versager versteckt. Mitglied einer Spezies, zu der auch Dora gehört und über die sie in ihrem Tagebuch schreibt:

"'All diese Schriftsteller aber, all dies Verlagen danach, etwas Bedeutsames zu kreieren, obwohl es unmöglich scheint – fragen diese Leute sich nie, ob es noch angebracht ist?' (…) 'Ich staune noch immer über das Handwerk anderer Autoren, wie sie Worte zusammenstückeln und Menschen erschaffen.'"

Denn das ist ihr Problem: Charaktere zu erfinden, über die zu schreiben sich lohnt. Allmählich wird deutlich, dass die Geschichten mit ihren so unterschiedlichen Protagonisten Erzeugnisse der Autorin Dora Frenhofer selber sind, ausgelöst durch Begegnungen mit Menschen, die mehr oder weniger zufällig in ihren Lebensbereich geraten sind.

Eine komplizierte Romankonstruktion also, die der Autor Tom Rachman schon in seinem erfolgreichen Erstling "Die Unperfekten" angewendet hat, episodisch, sprunghaft und zu­mindest anfangs eher verwirrend. In "Die Hochstapler" werden einzelne Teile durch Ausschnitte aus Doras Tagebuch verbunden, mit oft zynischen Reflexionen über ihr Leben und ihren schwindenden Erfolg.

"Weitermachen ist absurd. Aber vielleicht bin ich auch nur ein Algorithmus mit Wespenhirn, jemand, der die vorprogrammierte Aufgabe zu Ende bringt. Und: Aufgeben hieße zugeben, dass ich gescheitert bin, dass ich mich nicht freiwillig zur Ruhe gesetzt habe, sondern von der Bücherwelt gefeuert wurde."

Tom Rachman hat sich in seinen früheren Romanen bereits die Journalisten vorgeknüpft, die Buchhändler und die Maler – und jetzt eben die Schriftsteller. Kreative Wesen mit einem eher fragilen Ego, selbst wenn sie nach außen hin ein anderes Bild zeichnen, eine Mischung aus verlogener Bescheidenheit und Selbstüberschätzung – "Hochstapler" allesamt. Der Autor beobachtet sie spöttisch und doch verständnisvoll, unterhaltsam und doch mit ernstem Kern, fast mitleidsvoll angesichts des vorherrschenden Mittelmaßes – Dora und ihre Begeisterung über ein neues Buchprojekt eingeschlossen:

"Also versuche ich es, fürchte den Beginn, bin aber auch aufgeregt: die Leere der Seite, die Möglichkeit der Wörter. Jedes könnte ich nehmen. Also kommt alle her zu mir."

Doch dann lässt die Branche sie fallen: ausgemustert, zu alt, sie hat nichts mehr zu sagen. Zurück bleibt ein Leben ohne Inhalt. Die selbstgewählte kreative Einsamkeit wird zur qualvollen Leere und das Ende zu einem letzten Akt trotziger Souveränität.

"Sie hat dies hier geplant, ist den weiten Weg gekommen, um herauszufinden, ob sie je­mand ist, der das hier durchziehen kann."