Der Plan
Mit dem beschleunigten Atomausstieg ist die politische Bedeutung der fossilen Energiegewinnung wieder gestiegen. Vor allem Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und SPD-Fraktionschef Norbert Römer betonten noch während der Koalitionsverhandlungen: "Wir werden auch weiter fossile Kraftwerke für den Übergang benötigen." Zu den fossilen Energieträgern zählen Gas und Kohle. Die Landesregierung betont in ihrem Koalitionsvertrag: "Mit der Abschaltung aller Atomkraftwerke ist klar, dass bis zur vollständigen Deckung des Strombedarfs durch die Erneuerbaren Energien noch fossile Kraftwerke benötigt werden." Gleichzeitig steht aber auch sechs Absätze weiter im Vertrag, dass "der zukünftige Beitrag der fossilen Energieträger zur Stromerzeugung und zur Versorgungssicherheit in Nordrhein-Westfalen zu diskutieren und zu bewerten" sei.
Serie: Das plant Rot-Grün
NRW komme bei der Versorgungssicherheit "eine Schlüsselrolle" zu. Ein wichtiger Schritt: der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien, an dem SPD und Grüne festhalten wollen. Er sei ein Hauptgrund dafür, dass auf dem Strommarkt "fossile Grundlast" "zunehmend weniger" gefragt sei. Rot-Grün hält deswegen fest: "Die Energiewirtschaft plant derzeit aus wirtschaftlichen Gründen keine neuen Steinkohlekraftwerke." Braunkohle wird hier nicht erwähnt - aus gutem Grund: "Wir wissen, dass RWE in Niederaußen ein Braunkohlekraftwerk plant", sagt Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen. NRW sei als Standort aus Sicht der Betreiber naheliegend, "weil es sich bei Braunkohle um eine lagerstättengebundene Energieform handelt", ein Kraftwerk also nur dort Sinn macht, wo dieser Bodenschatz auch vorhanden ist.
Für das rheinische Braunkohlerevier sieht der Koalitonsvertrag einen Maßnahmenkatalog vor. Er umfasst unter anderem, dass die Kohleförderung entsprechend der Effizienzgewinne der Kraftwerke gesenkt werden müsse. Außerdem sollen Altanlagen abgeschaltet und Potenziale für Kraft-Wärme-Kopplung ermittelt werden.
Zu den nahezu fertiggestellten Steinkohlekraftwerken in Datteln und Lünen hält der Koalitionsvertrag fest, dass beide Projekte weiter auf Widerstand stoßen würden und Rechtsmittel eingelegt seien. Es gelte: "Die Landesregierung baut keine neuen Kraftwerke und reißt auch keine begonnenen Projekte ab." Für die Anwohner werde ein Vertrauensschutz in die bisherigen Gerichtsurteile sichergestellt.
Die Analyse
Für den grünen Fraktionschef Reiner Priggen ist im Koalitionsvertrag vor allem der Satz "bemerkenswert", dass die Energiewirtschaft keine neuen Steinkohlekraftwerke plane. "Das ist eine Tatsache. Es gibt derzeit niemanden, der ein neues Steinkohlekraftwerk bauen will, weil es sich einfach nicht rentieren würde", so Priggen. Tatsache ist aber auch: Datteln und Lünen sind reif fürs Netz, stehen aber brach. "Was die Landesregierung in diesem Punkt veranstaltet, ist im Grunde Nötigung durch Sitzblockade", sagt Hendrik Wüst, energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Rot-Grün hätte die landesrechtlichen Planungsfehler, die vom Verfassungsgericht angemahnt wurden, heilen müssen. "Aber die Hausaufgaben wurden nicht gemacht, die Regierung will mit dem Thema nach wie vor nichts zu tun haben", moniert Wüst. Insgesamt kritisiert er, dass die SPD sich trotz aller Ankündigungen in den Koalitonsverhandlungen nicht habe durchsetzen können. "Gerade die schöne, aber inhaltsleere Prosa zu Datteln und Lünen ist ein Kotau vor einem der Symbolthemen der Grünen." Wüst wünscht sich mehr Impulse, gerade beim Leitungsbau und bei der Speicherung. Dazu schweige sich der Vertrag allerdings aus. Bei der Braunkohle hält er es für den "falschen Ansatz", Effizienzgewinne aus der Förderung herauszunehmen. "Da fragen sich die Betreiber: Warum sollen wir in Effizienzgewinne investieren, wenn wir davon letztlich nichts haben?"
Auch Hubertus Bardt, Leiter des Bereichs Umwelt, Energie und Ressourcen am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), geht mit Rot-Grün hart ins Gericht: "Im Bereich Kohlekraft gibt es kein klares Bekenntnis. Der Vertrag sieht allgemein eine Effizienzsteigerung vor, aber da, wo es zum Schwur kommen müsste, zieht man sich zurück." Diese Zurückhaltung könne sich noch rächen, fürchtet Bardt. "Die Frage, ob man irgendwann in den kommenden Jahren vielleicht doch wieder ein Kohlekraftwerk bauen muss, wird auf die Landesregierung zukommen." Schon jetzt gebe es Probleme, zu den Spitzenzeiten genügend Stromkapazitäten zur Verfügung zu stellen. "Für solche Engpässe brauchen wir Kraftwerke, die man schnell hoch- und wieder runterfahren kann." Auch für die Grundlast würden weiterhin fossile Kraftwerke benötigt. Deswegen: "Um alte Kraftwerke durch effizientere Anlagen zu ersetzen, wird man nicht daran vorbeikommen, auch über neue Kraftwerke nachzudenken."
Auch Josef Tumbrinck vom Naturschutzbund NRW (Nabu) hält einige Punkte im Bereich fossile Energie für "unklar", betont aber gleichzeitig, dass das teilweise "politischen Realitäten geschuldet" sei. Natürlich hätte sich der Naturschutzbund aus Umweltschutzgründen einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohle gewünscht: "Das sind Ewigkeitskosten, die uns zu allem Überfluss auch noch auf Jahrzehnte Energie kosten werden, die eigentlich an anderen Stellen benötigt wird." Letztlich handele es sich aber um Genehmigungsrealitäten, die für ihn keine Überraschung dargestellt hätten. Beim Thema Datteln wäre ihm ein klares Wort lieber gewesen. "Da zieht sich Rot-Grün allerdings zurück und sagt: Wir warten mal ab, was von den Gerichten kommt."
Die Umsetzung
Durch das gesamte Konzept zieht sich ein leichter Widerspruch: Einerseits bekennt sich Rot-Grün in ihren Vereinbarungen ausdrücklich zu den fossilen Energieträgern als Übergangslösung für die Energiewende. Andererseits steht im Vertrag, dass der Beitrag der Fossilen "zu diskutieren und zu bewerten" sei.
Bei den Maßnahmen fürs Braunkohlerevier will die Landesregierung mit RWE Power einen "Aktionsplan Rheinisches Revier" entwickeln. Erste Gespräche hierzu habe es bereits gegeben, heißt es von Seiten der Koalition. Für die Kraftwerke Datteln oder Lünen müsste die Landesregierung die Energiepolitik der Landesplanung ändern. Im Vertrag wird dazu keine klare Aussage getroffen.