Es ist früher Morgen in den Black Hills von South Dakota, den heiligen Bergen der Lakota-Sioux. 1868 waren sie ihnen im "Ewigen Frieden" von Fort Laramie als Eigentum zugesprochen worden - "so lange die Flüsse fließen und die Sonne scheint." 22 Jahre später will die Regierung in Washington davon nichts mehr wissen. An jenem 15. Dezember 1890 schickt sie 43 Beamte der Indianerpolizei in die Black Hills, um einen als gefährlich eingestuften Unruhestifter festzunehmen.
Im Standing Rock Reservat umstellen die Polizisten die Blockhütte von Tatanka Yotanka und teilen dem 59-Jährigen seine Verhaftung mit. Der weit über Amerika hinaus als Sitting Bull berühmte Häuptling leistet keinen Widerstand, doch herbeigeeilte Stammesmitglieder protestieren massiv gegen die Gefangennahme. Es kommt zu einer Schießerei, bei der acht Lakota und sechs Polizisten getötet werden. Eines der ersten Opfer ist der unbewaffnete Häuptling, umgebracht von zwei Polizisten durch gezielte Schüsse in den Kopf.
Kriegshäuptling und spiritueller Führer
Sein Leben lang kämpft Tatanka Yotanka mit anderen Sioux-Führern wie Crazy Horse und Red Cloud erbittert gegen den Vormarsch der Weißen, um letztlich zu erkennen: "Diese Nation ist wie ein Frühlingshochwasser, das die Ufer übersteigt und alles zerstört, was im Weg ist. Wir können nicht nebeneinander wohnen." Bereits zur Zeit seiner Geburt um 1831 müssen die Prärie-Indianer erstmals große Gebiete an die Vereinigten Staaten abtreten, meist als Folge gefälschter Verträge und juristischer Tricks. Der Sohn eines Medizinmannes der Hunkpapa-Lakota beweist schon als Junge außergewöhnlichen Mut und Charakterstärke, was ihm den Kriegsnamen Tȟatȟáŋka Íyotake – "Sich setzender Bulle“ – einbringt.
Der begabte Redner und weitsichtige Verhandlungsführer wird, so der Frankfurter Ethnologe Markus Lindner, "zu einem spirituellen Führer der Lakota, also wesentlich mehr als ein Kriegshäuptling." Gegen den Landraub und die Einzwängung der Prärie-Ureinwohner in Reservate aber kämpft auch Sitting Bull vergeblich. Ernüchtert lehnt er 1868 den Laramie-Friedensvertrag ab: "Welcher Vertrag, den der Weiße Mann mit uns geschlossen hat, wurde je gehalten? Kein einziger!" Er behält Recht: Als Anfang 1876 Gold in den Black Hills gefunden wird, fallen Weiße wie Heuschrecken in die heiligen Berge ein. Die Sioux wehren sich gewaltsam gegen die Eindringlinge - für die US-Regierung Anlass, den Indianern den finalen Krieg zu erklären.
Ein Staatsfeind als Showattraktion
Am 25. Juni 1876 führt Generalmajor George Armstrong Custer, ein ausgewiesener Indianerhasser, das 7. Kavallerieregiment in die Schlacht am Little Bighorn. Sitting Bull selbst kämpft nicht mit, doch dank seiner Strategie können die vereinten Stämme der Sioux Custers Armee vernichtend schlagen. Die Schlacht macht Sitting Bull zum Mythos, kann das Schicksal seines Volks aber nicht abwenden. Starke Armeetrupps verfolgen die Lakota und töten massenweise Bisons, um den Indianern ihre Existenzgrundlage zu nehmen. Den freien Sioux bleibt keine Wahl als sich in Reservaten einpferchen zulassen. Zum Staatsfeind Nummer eins gestempelt flieht Sitting Bull mit einigen tausend Getreuen nach Kanada, kehrt aber 1881 freiwillig zurück und ergibt sich.
Nach zwei Jahren Haft lässt sich der geschlagene Krieger von einer anderen Legende anheuern. Mit Buffalo Bills Wild-West-Show tourt Sitting Bull 1885 durch die USA und Kanada. Seinen Stolz und seine indianische Identität aber lässt sich der wie ein gefährliches Tier bestaunte Häuptling nicht abkaufen. Bis zu seiner Ermordung in Standing Rock nutzt Sitting Bull seinen Status als Medienstar, um die Entrechtung seines Volkes anzuprangern. Zwei Wochen nach der Ermordung des charismatischen Häuptlings metzelt die US-Armee am Wounded Knee mehr als 200 Männer, Frauen und Kinder der Lakota nieder. Dieses Massaker bricht den Widerstand der Sioux endgültig.
Stand: 15.12.2015
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