Mitten im Ersten Weltkrieg beginnt Margarete Schütte-Lihotzky ihr Architektur-Studium an der "kaiserlich-königlichen Kunstgewerbeschule" in Wien – als erste Frau Österreichs. Dass sie später einmal ganze Wohnsiedlungen bauen wird, kann sie sich 1915 selbst nicht vorstellen.
Ihr Vater, ein durchaus offener und liberaler Mann, ist bei Studienbeginn besorgt, dass sie hungern wird müssen, weil eine Frau nun einmal keine Bau-Aufträge bekomme. "Und da hab ich gesagt, ich werde einem Architekten im Büro zeichnen", erinnert sich Margarete Schütte-Lihotzky später.
Günstig bauen mit standardisierten Material
Geboren wird Margarete Schütte-Lihotzky am 23. Januar 1897 in eine bürgerliche Familie hinein. Sie verbringt eine glückliche, privilegierte Kindheit in Wien. Erst als junge Architektin des städtischen Siedlungsamts trifft sie zum ersten Mal auf einfache Arbeiter, für die sie mit viel Enthusiasmus funktionale und standardisierte Wohnungen entwickelt.
Wie sieht die "perfekte Küche" aus?
1926 geht sie nach Frankfurt am Main. Als ersten Auftrag soll sie den Grundriss der Küche für die Hausarbeit optimieren. Ein neues Terrain für Margarete Schütte-Lihotzky: "Bevor ich die Frankfurter Küche gemacht habe, habe ich nie selbst gekocht."
Mit Maßband und Stoppuhr lebt sie nun ihre Vorliebe für Präzision und Rationalität aus: Heraus kommt ein optimierter Arbeitsbereich auf knapp sechseinhalb Quadratmetern. Die Arbeitsflächen sind ausziehbar, das Material leicht abwaschbar und ein Drehstuhl soll die Hausfrau vor dem Ermüden bewahren.
Die anfängliche Kritik verstummt bald: "Die Frauen, die dort gearbeitet haben, waren wirklich alle sehr zufrieden", sagt Schütte-Lihotzky einmal. "Sie haben ja gesehen, wie viel Arbeit sie sparen können." Bis 1930 werden allein in Frankfurt 10.000 Wohnungen mit dem Küchensystem ausgestattet.
Kommunistin und Widerstandskämpferin
In der Weltwirtschaftskrise fehlt den Kommunen das Geld für Wohnprojekte. Sie geht mit ihrem Mann Wilhelm Schütte, ebenfalls Architekt, 1930 in die Sowjetunion, später in die Türkei. Dort schließt sich die Kommunistin dem Widerstand gegen die Nazis an. Sie wird verraten und sitzt über vier Jahre im Gefängnis.
Als Margarete Schütte-Lihotzky bei Kriegsende wieder frei kommt, geht sie zurück nach Wien. Aber als ehemalige Kommunistin wird ihre Arbeit boykottiert. "Die großen Nazis haben schon wieder große Aufträge gehabt, und ich bekam 20 Jahre lang keinen", erzählt sie.
Später Ehrung für ihr Lebenswerk
Doch die Architektin lässt sich nicht unterkriegen: Sie arbeitet als Städtebau-Expertin für die UNO, ist tätig im Erziehungsministerium von Havanna und macht an der Bauakademie in Ost-Berlin eine Forschungsarbeit über Kinderanstalten.
1980 schließlich verleiht die Stadt Wien der 83-Jährigen den Preis für Architektur. Ihren späten Ruhm kann sie noch auskosten: Margarete Schütte-Lihotzky stirbt am 18. Januar 2000, wenige Tage vor ihrem 103. Geburtstag, in ihrer Geburtsstadt Wien.
Autor des Hörfunkbeitrags: Ariane Hoffmann
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 23. Januar 2022 an Margarete SChütte-Lihtzky. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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