Dem "Mädchenkram", den seine Eltern herstellen, kann der kleine Eugen so gar nichts abgewinnen. Zwei Jahre vor seiner Geburt am 22. Dezember 1861 haben Theodor und Caroline Märklin im schwäbischen Göppingen eine Werkstatt eröffnet. Er stellt Puppenküchen und -kinderwagen her, die seine Frau als eine der ersten weiblichen Handlungsreisenden bis in die Schweiz verkauft.
Als ihr Mann 1866 bei einem Unfall ums Leben kommt, führt Caroline Märklin das Familienunternehmen allein weiter, bis ihre Söhne Eugen und der jüngere Karl alt genug für die Nachfolge sind. Eugen begeistert sich schon seit seiner Jugend für Technik, vor allem für Eisenbahnen.
1888 übernimmt er den Betrieb und gründet zusammen mit Karl die Firma "Gebrüder Märklin". Drei Jahre später kaufen sie eine Fabrik für Blechspielzeug und verwirklichen Eugens Traum von einem faszinierenden und erfolgversprechenden Spielzeug für Väter und Söhne.
Technik, die begeistert
Auf der Frühjahrsmesse in Leipzig präsentiert Eugen Märklin 1891 seine erste Lokomotive aus Blech, den Urtyp aller Modelleisenbahnen. Sie wird mit einem Schlüssel aufgezogen, fährt auf Gleisen in Form einer Acht und ist noch rund dreimal so groß wie moderne Mini-Loks. Die Erfindung der Märklin-Brüder, ein ausbaufähiges System mit genormter Schienenbreite - später Spur I genannt, trägt die Technikbegeisterung des ausgehenden 19. Jahrhunderts in die bürgerlichen Wohnstuben und wird ein enormer Verkaufsschlager.
Bald gleichen andere Hersteller ihre Spurbreite der Märklin-Norm an. Die Begeisterung für das neue Spielzeug wird noch angefacht, als Eugen und Karl 1897 die erste mit Dampf und Strom betriebene Lokomotive anbieten. Der Name Märklin wird zum Synonym für Modelleisenbahnen. Ab 1914 gehören auch Metallbaukästen zum Angebot der Göppinger.
Auf Kurs zum Weltmarktführer
Auch im Ausland boomt die Nachfrage nach Märklin-Eisenbahnen. Ab 1907 eröffnen die Brüder Läden in Amsterdam, London, Mailand, Moskau und Paris. 1911 entsteht in Göppingen ein neues, größeres Fabrikgebäude mit rund 500 Beschäftigten. Jede Märklin-Lokomotive besteht aus rund 300 maschinell produzierten Teilen, die mit großer Kunstfertigkeit zusammengebaut und bemalt werden - fast ausschließlich von Frauen.
Mit einem Transformator-geregelten 20-Volt-System baut Eugen Märklin in den Zwanzigern die führende Stellung seiner Firma auf dem Weltmarkt aus. Die großen Spuren I, II und II gibt er auf; nun dominiert die Spur 0 mit 32 Millimetern sowie ab 1935 die neue Spur 00, die heutige H0.
Märklin unter Druck
Im Alter von 74 Jahren übergibt der Firmenpatriarch die Führung seinem ältesten Sohn Fritz. Während des Zweiten Weltkriegs wird Märklin zur Herstellung "kriegswichtiger Produkte" herangezogen, fertigt aber weiter auch Tischeisenbahnen. 1947 stirbt Eugen Märklin in seiner Heimatstadt Göppingen und hinterlässt seinen Erben ein über Jahrzehnte florierendes Geschäft.
Erst als das digitale Zeitalter den Spielzeugmarkt erfasst, gerät auch der Weltmarktführer unter Druck. 1997 stärkt sich Märklin durch die Übernahme des größten Konkurrenten TRIX und baut ein neues Werk in Ungarn. Millionen Hobbyeisenbahner sind geschockt, als das Unternehmen 2009 Insolvenz anmeldet und zum Spielball von Investoren wird.
2013 schließlich erwirbt der Fürther Spielwarenhersteller Michael Sieber Märklin und bringt das Traditionsunternehmen wieder auf Erfolgskurs.
Autor des Hörfunkbeitrags: Ariane Hoffmann
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 22. Dezember 2021 an Eugen Märklin. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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