Waghalsiges Klettern im Trümmerschutt oder Gummitwist auf der Straße, so verbringen die meisten Kinder im Jahr 1950 ihre freie Zeit. Gespielt wird mit dem Wenigen, was zu finden ist: Aus Maiskolben werden Puppen, aus Garnrollen Autos und Anhänger. "Echtes Spielzeug" gibt es kaum zu kaufen, die Nationalsozialisten hatten 1943 die Spielwarenherstellung als "nicht kriegswichtig" gestoppt.
Erst allmählich läuft nach Kriegsende die Produktion wieder an. Noch fehlt den meisten Familien das Geld für Spielwaren, doch die Fabrikanten hoffen auf eine große Nachfrage, wenn die Wirtschaft erst wieder richtig in Schwung kommt. Und so beschließen im Herbst 1949 eine Handvoll Firmenchefs, dass sie eine neue Messe für Spielwaren etablieren wollen. Vor dem Krieg hatte sich die Branche in Leipzig getroffen, doch die Stadt liegt mittlerweile in der DDR. Die Wahl für die neue Verkaufsschau fällt nicht zufällig auf Nürnberg, im Fränkischen haben viele Spielwarenproduzenten ihren Sitz. Nach einem halben Jahr Vorbereitung öffnet am 12. März 1950 die erste Nürnberger Spielwarenmessen ihre Pforten.
Von Tapeziertisch zum Showroom
Puppenwagen stilecht im 50er-Jahre-Schick, der VW-Käfer im Spielzeugmaßstab, Modellbahnen von Trix: Das sind die Hingucker der Messe, auf der 351 Aussteller 4.300 Besuchern vier Tage lang ihre Waren präsentieren. Das Angebot ist noch übersichtlich und bescheiden. "Ein Messestand sah damals so aus, dass der Aussteller schon froh war, wenn er 20 Quadratmeter hatte", erinnert sich Dieter Hahne. Der 87-Jährige ist Ehrenvorsitzender des Spielwarenmesse-Aufsichtsrats und war lange Geschäftsführer von Schmidt-Spiele. "Sie kamen, stellten einen Tapeziertisch hin mit einer netten Decke drüber - und bauten ihre Produkte auf", erzählt Hahne.
Trotz der im Vergleich zu heutigen Messeständen spärlichen Dekoration wird die erste fränkische Verkaufsschau ein Erfolg. Deshalb gründen 46 Spielwarenhersteller am 11. Juli 1950 eine eingetragene Genossenschaft für die Organisation weiterer Messen. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard überredet die Verantwortlichen Ende der 50er Jahre dazu, die Ausstellung für ausländische Unternehmen zu öffnen. Und tatsächlich entwickelt sich die Nürnberger Spielwarenmesse zum weltweit bedeutendsten Treff für Hersteller und Fachhandel. Mehr als zwei Drittel der 2.857 Aussteller, die im Januar 2015 auf der Spielwarenmesse ihre Produkte anbieten, kommen ebenso aus dem Ausland wie mehr als die Hälfte der 70.000 Fachbesucher.
Das Kinderparadies - ohne Kinder
In den 70er Jahre macht ein neuer Werkstoff auf der Messe Furore: Plastik. "Vorher war alles aus Blech. Mit dem Aufkommen des Kunststoffs konnte man plötzlich Dinge machen, die vorher nicht gemacht werden konnten", erinnert sich Hahne. Fortan wird es in den Kinderzimmern immer bunter. 1974 kommen die ersten Playmobil-Figuren auf dem Markt und erzielen gleich im ersten Jahr einen enormen Umsatz. Zusammen mit Lego hat Playmobil bis heute einen festen Platz in fast jedem Kinderzimmer - auch wenn die blinkende und piepsende Konkurrenz stetig wächst.
Viele Kinder legen immer früher Barbie, Autos & Co weg und greifen zum Computer oder Smartphone. Während Eltern ihren Nachwuchs aus dieser virtuellen Wunderwelt weglocken wollen, gehen die traditionellen Spielwarenhersteller inzwischen den umgekehrten Weg: Viele neu auf dem Markt kommenden Puzzles oder Brettspiele werden über zusätzliche Apps auf dem Smartphone oder Tablet zum Leben erweckt.
Nur diejenigen, um die es auf der Messe eigentlich geht, müssen draußen bleiben: "Wir würden die Kinder überfordern. Bei einer Million Produkten wäre das ein totaler Overload von Informationen", sagt Ernst Kick, Vorstand der Spielwarenmesse. Außerdem könne das Zielpublikum nichts kaufen, was zu Enttäuschungen führen würde. Den Frust von unerfüllten Wünschen müssen dann die Eltern aushalten, wenn die zahlreichen jährlichen Messeneuheiten ihren Weg in die heimischen Spielwarenläden geschafft haben.
Stand: 12.03.2015
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