Zum ersten Mal begegnet Elisabeth Hauptmann dem aufstrebenden Dramatiker Bertolt Brecht im November 1924 in Berlin. Dort versucht sie einen Neustart - nachdem sie ihre Arbeit als Privatlehrerin auf einem Gutshof verloren hat, weil sie sich in den Vetter einer Schülerin verliebte.
Die 27-Jährige ist bei einer Freundin zum Tee eingeladen. Elisabeth Hauptmann ist so schwer erkältet, dass sie sich nicht am Gespräch beteiligt. Aber sie hört aufmerksam zu, wie Brecht vom Theater erzählt. Am nächsten Tag ruft er sie an. Später stellt sie fest: Für ihn sind Zuhörende wichtig, weil er ihnen seine Gedanken und Pläne mitteilen kann.
Hervorragende Englischkenntnisse
"Wir sind ja im Grunewald auf und ab gegangen", sagt Elisabeth Hauptmann rückblickend. "Er verwickelte mich in sehr viele Gespräche über das, was ihn am meisten bedrückte." Brecht arbeitet damals gerade am Lustspiel "Mann ist Mann". "Und er fing an, mir den Inhalt zu erzählen und wo er nicht weiterkam." Elisabeth Hauptmann hat dazu einen dramaturgischen Einfall.
Die 1897 im westfälischen Peckelsheim geborene Bess - wie Brecht sie bald nennt - hat viele Talente. Sie hat hervorragende Englisch-Kenntnisse, weil ihre Mutter in den USA aufgewachsen ist. Brecht lässt Elisabeth Hauptmann vom Kiepenheuer Verlag als seine Lektorin und Mitarbeiterin anstellen.
Mit Brecht zusammen musiziert
Sie sucht in britischen und amerikanischen Zeitungen nach Inspirationsquellen für neue Stücke. Sie spielt Klavier, sodass beide zusammen - Brecht an der Gitarre - Songs entwickeln können. Bald teilen sie Schreibtisch und Bett. Sie siezen sich aber weiter, auch in Briefen. Denn Brecht ist verheiratet. Auch mit seinen anderen Geliebten will er keinen Stress.
Nach dem Auslaufen des Kiepenheuer-Vertrages arbeitet Hauptmann freiberuflich als Übersetzerin und Autorin für Magazin-Geschichten. Dabei entdeckt sie die "Beggars Opera" von John Gay. Sie weist Brecht auf die "Bettler-Oper" hin und beginnt das Stück ins Deutsche zu übersetzen.
Arbeitsanteil von 80 Prozent an "Dreigroschenoper"
Beim Durchsehen der Songs gefällt ihr nur eine Melodie. Sie wird zur Vorlage für die "Moritat von Mackie Messer", das erste Lied der "Dreigroschenoper", die 1928 zum Kassenschlager wird. Literaturwissenschaftler bemessen Elisabeth Hauptmanns Arbeitsanteil daran auf bis zu 80 Prozent: als Übersetzerin und Mitarbeiterin an vielen der Songs.
Doch nur 12,5 Prozent der Tantiemen gehen an sie. An Kurt Weill als Komponist und Brecht als Texter geht der große Rest der Einnahmen. An der kollektiven Theaterarbeit ändert das nichts. Die Dynamik liegt im Miteinander. Elisabeth Hauptmann führt Buch, inspiriert, schlägt vor, textet mit.
Das Stück "Happy End" unter Pseudonym geschrieben
1929 bringt Elisabeth Hauptmann die von ihr geschriebene Komödie "Happy End" in Berlin auf die Bühne - wegen der freizügigen Szenen allerdings nur unter ihrem Pseudonym Dorothy Lane. Die Geschichte, bei der Gangster zu Bürgern werden und ihre Raubzüge unter dem Deckmantel der Heilsarmee durchführen, wird von Brecht inszeniert.
Die Kritik sieht darin ein Skandalstück, das als "salonkommunistisch" und flache Kopie der "Dreigroschenoper" bezeichnet wird. Die Arbeitsanteile von Hauptmann an Brecht-Stücken wie "Die Heilige Johanna der Schlachthöfe" bleiben jedoch hoch.
In die USA emigriert
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ist Elisabeth Hauptmann als KPD-Mitglied in Gefahr. Beim Versuch, einen Manuskript-Koffer des bereits ausgereisten Brecht an sich zu nehmen, wird sie von der Gestapo verhaftet. Eine Intervention des US-Botschafters rettet sie. Hauptmann kann nach St. Louis zu ihrer Schwester fliehen.
Brecht schickt ihr in den Jahren des Exils seine Stücke, Gedichte und Aufsätze zur Begutachtung. Sie ist auch zur Stelle, als Brecht 1935 von Dänemark aus mit Eissler zusammen nach New York eingeladen wird, um an einem kleinen Theater "Die Mutter" zu inszenieren. Sie unterstützt die beiden als Dolmetscherin.
Herausgabe von Brechts gesammelten Werken
1948 heiratet Elisabeth Hauptmann in den USA den Komponisten Paul Dessau und zieht mit ihm nach Ost-Berlin, wo Brecht seine Karriere fortsetzt. Sie bekommt am Berliner Ensemble eine Anstellung als Dramaturgin. Brecht sorgt dafür, dass sie einen Vertrag beim Suhrkamp-Verlag über die Herausgabe seiner Werke erhält.
Nach dem Tod Brechts 1956 kümmert sie sich - gemeinsam mit dessen Witwe Helene Weigel - um die Herausgabe der Gesammelten Werke in West-Deutschland. Später erscheinen die gleichen Bände mit weiteren editorischen Anmerkungen in der DDR. Elisabeth Hauptmann stirbt am 20. April 1973 in Ost-Berlin.
Autor des Hörfunkbeitrags: Christoph Vormweg
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 20. April 2023 an Elisabeth Hauptmann. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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