"Alles, was ich nach dem Sex brauche, ist eine Zigarette und ein Solo von Coltrane": Tiefe Verehrung spricht aus diesem Satz, den Nouvelle-Vague-Regisseur Jean-Luc Godard seinem Helden in den Mund legt. Eine Verehrung, die weit über die Jazz-Welt hinaus geteilt wird und bis heute anhält. Denn John Coltrane hat mit dem Saxophon Meilensteine der Musikgeschichte geschaffen - in nur 41 Lebensjahren.
Bis das Zahnfleisch blutet
Geboren wird John Coltrane am 23. September 1926 als Sohn eines Flickschneiders in North Carolina, die Kindheit ist geprägt von Rassismus und dem frühen Tod seiner Eltern. Von da an kompensiert Coltrane Wut und Schmerz mit Musik. Er ist wie besessen von seinem Saxophon: Er spielt in jeder freien Minute und übt Tonfolgen und Akkorde, bis das Zahnfleisch blutet.
Begegnung mit dem Bebop
Anfang der 40er Jahre zieht er nach Philadelphia - und lernt den Bebop kennen. Der ist ganz anders als der Swing, mit unsingbaren Melodien, komplexen Akkorden und viel Raum für lange Soli. Coltrane macht sich den Sound zu eigen und entwickelt ihn immer weiter, legt mit dem Saxophon "Klangflächen" aus Tönen, die mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit gespielt werden. "Giant Steps", das Album aus dem Jahr 1960, ist ein Meisterwerk - und der absolute Höhepunkt des Bebop.
Streit mit Miles Davis
Zu dieser Zeit ist Coltrane schon dabei, sich von Miles Davis zu lösen. Der Jazz-Trompeter hat "Trane", der sich jahrelang als Begleitmusiker über Wasser gehalten hat, 1955 in sein Quintett geholt. Musikalisch ergänzen sie sich perfekt, aber charakterlich könnten sie kaum gegensätzlicher sein. Davis hat ein explosives Temperament, Coltrane ist jenseits der Bühne still, zieht sich in sich zurück. Als Davis ihn wieder einmal wegen seiner ausufernden Soli beschimpft, entschuldigt er sich: "Keine Ahnung, es dauert so lange, bis ich alles untergebracht habe."
Das nimmt Davis hin. Nicht aber Coltranes Heroinsucht: Davis wirft ihn raus. Coltrane macht einen kalten Entzug und kommt mit Hilfe seiner Frau wieder auf die richtige Bahn. Aber ihm fehlt der innere Kompass. Also sucht er ihn, im Islam, in östlicher Spiritualität - und begegnet dem Sitarspieler Ravi Shankar. Spiritualität und Musik werden eins: "Ich möchte den Menschen das Göttliche in einer musikalischen Sprache nahebringen, die über Worte hinausgeht."
Ausflüge in die Welt des Pop
Ergebnis dieser Begegnung ist das Album "A Love Supreme", ein Loblied auf Gott, das von spiritueller Energie strotzt. Coltrane kann aber auch ganz anders, spielt mit seinem Quartett "My Favorite Things" ein, auf dem er eine simple Musical-Melodie in etwas ganz Neues und zugleich Massentaugliches verwandelt. Ob Volksweisen, Blues-Songs oder Opernmelodien: "Ihm war nur wichtig, wie er ein Stück neu erfinden kann", erinnert sich sein Sohn Ravi Coltrane.
Der "Fackelträger" fehlt
Diese Besessenheit kostet Kraft. Der 40-Jährige, der auf der Bühne bis an den Rand des Zusammenbruchs spielt, ist zutiefst erschöpft, als er am 17. Juli 1967 an Leberkrebs stirbt. "Vom Tod Coltranes hat sich der Jazz dann nicht mehr erholt", befindet Archie Shepp, einer der vielen Jazz-Größen, die mit "Trane" gespielt haben - Coltrane als Fackelträger, der Orientierung gibt, fehlt.
Aber er wird bis heute verehrt, hat sogar eine eigene Kirche. "Seine Musik hat die damalige Zeit eingefangen und weist gleichzeitig weit über sie hinaus", sagt sein Sohn Ravi Coltrane. "Vielleicht ist das der Grund dafür, warum sie noch immer eine solche Wirkung entfalten und Menschen glücklich machen kann."
Autor des Hörfunkbeitrags: Niklas Rudolph
Redaktion: Gesa Rünke
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 23.September 2021 an John Coltrane. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 24.09.2021: Vor 5 Jahren: "Der Engel von Dachau" wird seliggesprochen