27. Juni 1922 - Gründung des Übersee-Clubs in Hamburg

Stand: 27.06.2017, 00:00 Uhr

Die Versailler Verträge mit ihren hohen Reparationsforderungen an Deutschland bremsen die Wirtschaft und schreiben Feindschaften nach dem Ersten Weltkrieg fort. Davon ist Max Warburg überzeugt. Deshalb gründet der jüdische Bankier und Politiker am 27. Juni 1922 in Hamburg den Übersee-Club, der "einer Entgiftung der internationalen Atmosphäre" dienen soll.

"Geschlossen müssen wir uns einsetzen für unser Ziel, den neuen Freihandel, voll Verantwortungsgefühl für das Wohl der Nation und getragen von Vertrauen", gibt Warburg zu Protokoll, "für einen Welthandel, der frei ist von Bedrohung durch die Beutegier der Machtstaaten, einen Handel, der mit den Interessen des Kaufmanns zugleich die Interessen der Völker fördert."

Übersee-Club in Hamburg gegründet (am 27.06.1922) WDR Zeitzeichen 27.06.2017 14:57 Min. Verfügbar bis 25.06.2097 WDR 5

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250 Vorträge bis 1933

Bei der Eröffnungsveranstaltung des Übersee-Clubs, der den Handel über die Weltmeere stärken soll, ist Warburg nicht zugegen: Wegen rechtsradikaler Übergriffe hatte ihm der Hamburger Polizeipräsident von öffentlichen Auftritten abgeraten. Trotz einer nicht immer freundlichen gesellschaftlichen Atmosphäre erwirbt sich der Club schon bald den Ruf, die zentralen Politiker und Wissenschaftler für Vorträge zum Freihandel und Freidenken zusammenzubringen.

Bereits 1922 hält der britische Nationalökonom John Maynard Keynes eine vielbeachtete Rede, die sich mit der Reparationspolitik Deutschlands beschäftigt. Rund 250 Beiträge sind bis 1933 zu hören, dann läutet Rassenbiologe Walter Scheidt mit seinen Auffassungen zur "Erbbelastung des Deutschen Volkes und der Verhütung erbkranken Nachwuchses" das Ende ein. Der Club löst sich auf, Max Warburg geht 1938 nach New York ins Exil, wo er 1946 stirbt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründet sich der Übersee-Club – just am Tag der Währungsreform – auf Initiative von Kaufleuten und Politikern neu. Seiner Grundidee bleibt er mit dem Ansatz, "die Beziehungen zwischen Deutschland und der Welt auf geistig-gesellschaftlich-kaufmännischer Ebene" mittels Vorträgen zu pflegen, treu.

Offene Märkte und freier Handel

Valery Giscard d’Estaing, Francois Mitterand und Václav Klaus, Dieter Zetschke, Werner Heisenberg und Jassir Arafat: Auch die Liste der Persönlichkeiten, die nach 1948 im Überseeclub eine Rede halten, ist lang. Noch heute genießt die Hamburger Institution einen ausgezeichneten Ruf. Krawatte ist auf den Abendveranstaltungen Pflicht, Herkunft nicht unbedingt –  jeder, der von zwei Mitgliedern vorgeschlagen wird, kann aufgenommen werden.

Heute residiert der Überseeclub mit seinen mehr als 2.000 Mitgliedern in nobler Lage am neuen Jungfernstieg in einem prächtig restaurierten Stadtpalais aus der Zeit des Klassizismus, das einst einer Hamburger Kaufmannsfamilie gehörte.

2017 ist Angela Merkel (CDU) im Übersee-Club zu Gast. Und bekräftigt in ihrer Rede das, was eigentlich auch schon Gründungsvater Max Warburg konstatierte: "Nur mit offenen Märkten und freiem Handel können wir die gute wirtschaftliche, aber in der Folge auch soziale Lage unseres Landes stärken", betont die Bundeskanzlerin in ihrem Festvortrag zum 95-jährigen Bestehen der Hamburger Institution. "Und nur mit offenen Märkten und freiem Handel werden wir auch die Lage in Europa weiter stärken können."

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 27. Juni 2017 ebenfalls an die Gründung des Übersee-Clubs. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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