Robert Andrich ist Leverkusens "Wadenbeißer" mit feinem Füßchen
Stand: 05.06.2024, 20:27 Uhr
Erst vier Fußball-Länderspiele stehen in der Vita von Robert Andrich. Dennoch dürfte der Mittelfeldspieler von Bayer 04 Leverkusen bei der EM 2024 gesetzt sein. Das liegt vor allem an seinem einzigartigen Profil.
Von Lukas Thiele
Im Berliner Olympiastadion kennt sich Robert Andrich ganz gut aus. Als Jugendspieler bei Hertha BSC war er dort öfter als Balljunge im Einsatz. Außerdem weiß er nun auch, wie es sich anfühlt, dort Titel zu holen. Erst Ende Mai gewann er durch den 1:0-Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern mit seinem Verein Bayer 04 Leverkusen den DFB-Pokal.
"Das war sehr besonders für mich. Auch das ganze Drumherum am Olympiastadion, wo man früher Balljunge war. Das sind schon so spezielle Momente, die dann auch spezieller sind als bei anderen Spielern", sagte er rückblickend. "Den Titel dort zu gewinnen, war auch unfassbar. Ich hab sehr viele Tickets gekauft, es waren sehr viele Leute von mir da. Das sind so Erinnerungen, die man nicht kaufen kann. Natürlich gibt das einen Ansporn, dort noch einmal zu spielen."
DFB-Spieler Andrich - "Titel da zu gewinnen, war unfassbar"
WDR. 05.06.2024. 00:53 Min.. Verfügbar bis 05.06.2025. WDR.
Leverkusens Andrich ist gierig nach mehr Titeln
Dabei hatte Andrich auch schon einen konkreten Termin im Kopf: den 14. Juli. Dann findet nämlich im Olympiastadion das Finale der Fußball-Europameisterschaft statt. "Wir haben eine Gier, noch mehr Titel zu gewinnen", sagte der 29-Jährige, der mit Bayer 04 Leverkusen nicht nur den DFB-Pokal, sondern auch die deutsche Meisterschaft gewann.
Andrich wird bei der EM voraussichtlich eine tragende Rolle spielen und als zweiter Sechser neben Rückkehrer Toni Kroos im Team von Julian Nagelsmann auflaufen. Dabei stehen gerade einmal vier A-Länderspiele in Andrichs Vita. Sein Debüt feierte er erst im vergangenen November beim 0:2 gegen Österreich, als er in der 61. Minute eingewechselt wurde. In den darauffolgenden Spielen gegen Frankreich (2:0), die Niederlande (2:1) und die Ukraine (0:0) stand Andrich aber jeweils in der Startelf.
Andrichs Profi-Karriere nahm erst spät Fahrt auf
Ein steiler Aufstieg für Andrich, der auch im Profi-Fußball erst spät so richtig auf sich aufmerksam machte. Im November 2012 stand er erstmals im Profi-Kader von Hertha BSC. Sein Profi-Debüt feierte er aber erst zweieinhalb Jahre später, am 7. Februar 2015 im Trikot von Dynamo Dresden im Drittliga-Spiel gegen Rot-Weiß Erfurt.
Es folgten weitere Drittliga-Einsätze für Dresden und den SV Wehen Wiesbaden, ehe er 2018 zum 1. FC Heidenheim in die zweite Liga wechselte. Und hier nahm Andrichs Karriere Fahrt auf. Denn nach nur einem Jahr in Heidenheim kehrte Andrich nach Berlin zurück und schloss sich dem frisch gebackenen Bundesliga-Aufsteiger Union Berlin an.
Und spätestens bei den Berlinern erarbeitete sich Andrich einen Ruf als Wadenbeißer, als kompromissloser Abräumer vor der Abwehrkette. Andrich spielte einfach, direkt, schnörkellos und war im Bollwerk von Union-Trainer Urs Fischer ein wichtiger Baustein. Ballgewinn oder Foul war oft seine Devise.
Andrich: "Wollte immer anecken"
Angepasst sein, das gefiel Robert Andrich lange nicht. "Ich wollte immer zu der Minderheit gehören, die aneckt. Ich bin viel gegen den Strom geschwommen", sagte der gebürtige Potsdamer jüngst in einem Interview mit dem Magazin "11 Freunde".
Bei Bayer 04 Leverkusen erlebte Andrich zuletzt so etwas wie einen Imagewandel. Zwar spielt er weiterhin überwiegend die Rolle als Abräumer vor der Abwehrkette. Unter Trainer Xabi Alonso sind aber auch Andrichs spielerische Qualitäten mehr in den Fokus gerückt - nicht zuletzt dank wichtiger und vor allem sehenswerter Tore.
So bewies Andrich das ein oder andere Mal sein feines Füßchen. Im Pokal-Viertelfinale gegen den VfB Stuttgart (3:2) schlenzte Andrich den Ball aus der Distanz unhaltbar in den Winkel. Auch im Hinspiel des Halbfinales der Europa League gegen die AS Rom (2:0) traf er aus der Distanz in den Knick. Am letzten Bundesliga-Spieltag gegen den FC Augsburg (2:0) war er sogar mit der Hacke erfolgreich.
Insgesamt elf Scorerpunkte (Sechs Tore, fünf Vorlagen) lieferte Andrich in 45 Spielen in der vergangenen Saison - als defensiver Mittelfeldspieler. "Ich glaube, wenn man auf diesem Niveau in der Bundesliga und auch in der Nationalmannschaft spielt, dann kann man auch noch ein bisschen was mit dem Ball. Das kann ich natürlich auch", sagte Andrich selbst mit einem Schmunzeln.
Andrichs Aufgabe: Toni Kroos den Rücken frei halten
Mit seinem Profil schließt Andrich in der Nationalmannschaft eine Lücke. Genau darauf hatte Trainer Julian Nagelsmann bei der Kader-Zusammenstellung geachtet: "Es ist wichtig, dass wir nicht nur die talentiertesten Einzelspieler mit den größten Namen finden", sagte er. "Es ist wichtig, ein paar Spieler mit einem anderen Profil zu sehen."
Genau so ein Spieler ist Andrich, dessen Profil in Deutschland auf diesem Niveau aktuell wohl einmalig ist. "Stabilität und Sicherheit" seien die beiden Stichwörter gewesen, die Nagelsmann ihm bei seiner Rollenbeschreibung mit auf den Weg gegeben hatte, sagte Andrich. Er soll vor allem Spielgestalter Kroos den Rücken frei halten. Zwei Mal standen die beiden bislang gemeinsam auf dem Feld, beide Spiele gewann die deutsche Elf.
"Toni ist ein sehr ruhiger Companion, der aber schon seine Autorität zeigt. Und ich glaube, das sah gar nicht so verkehrt mit uns beiden zusammen aus", sagte Andrich nach dem Debüt der Doppel-Sechs gegen die Franzosen. "Im besten Fall harmonieren Toni und ich so gut, dass er seine Qualitäten der Mannschaft geben kann. Dann sind wir besser, dann sind wir brutal stark."
Wohin die Reise des DFB-Teams bei der EM dann geht, wird sich zeigen. Ginge es nach Robert Andrich, endet sie natürlich mit dem EM-Sieg am 14. Juli im Berliner Olympiastadion.