Christina Clemm steigt ein mit Lisa M., einem fiktiven Fall, zu dem sie im Laufe des Buchs immer wieder zurückkehren wird. Die Studentin aus Jena verliebt sich in einen Kommilitonen, sie führen ein paar Jahre eine Beziehung, streiten gelegentlich, bis Mirko einen ersten Ausraster hat und gewalttätig wird. Er entschuldigt sich, beide sind erschrocken über den Vorfall, dann wird Lisa schwanger.
Lisa trennt sich nicht, sie bekommt das zweite Kind. Die Beziehung eskaliert immer mehr, bis Mirko seine Frau schließlich auf offener Straße ermordet. Die Presse betitelt das Verbrechen als Familiendrama, das niemand hätte verhindern können.
Wirklich niemand? So fragt die erfahrene Juristin Christina Clemm in ihrem Buch. Ist es wirklich unmöglich, dass die Behörden die Opfer häuslicher Gewalt angemessen schützen? Und warum werden wiederkehrende Gewaltverbrechen so oft von den Medien verharmlost?
Ohne viel Fachjargon benennt die Autorin, die auch zur Gewaltprävention berät, Strukturen und macht klar, dass es "Frauenhass" ist, der der Gewalt zugrunde liegt. Immer wieder kommt sie zu dem fiktiven Fall von Lisa M. zurück, gibt aber auch konkreten Frauen, die sie vertreten hat, eine Stimme.
Mithilfe von Studien, aber auch Berichten aus anderen Ländern zeigt die Autorin was bereits getan wird, und formuliert einen Maßnahmenkatalog, wie das deutsche Rechtssystem verändert werden kann.
Christina Clemm, die seit Jahrzehnten Opfer von geschlechtsbezogener und rassistischer Gewalt vertritt, hat ein kämpferisches Buch geschrieben, das nicht nur mit juristischer Expertise und psychologischem Feingefühl beleuchtet, wie sich Sexismus im Rechtssystem manifestiert, sondern leidenschaftlich für Gerechtigkeit eintritt.
Ein aufklärerisches Buch, das jedem, der dies für ein "Frauen-Thema" hält, klar macht, dass patriarchale Gewalt alle Lebensbereiche durchzieht, alle angeht und sich deswegen niemand der Verantwortung entziehen darf.
Eine Rezension von Kamala Dubrovnik
Literaturangaben:
Christina Clemm: Gegen Frauenhass
Hanser Berlin, 2023
254 Seiten, 22 Euro