Was macht ein kleiner Junge, der mit seiner alleinerziehenden Mutter aufwächst, sich so sehr einen Vater wünscht? Der kleine J.R. kennt nur die Stimme seines Vaters, denn der ist DJ im Radio. Also hört er Radio, erzählt dem olivgrünen Kasten von seiner Sehnsucht und seinen Träumen. Sucht sich fremde Väter, Männer, die ihm das beibringen, was ein Junge für später mal übers Leben wissen muss.
Ins "Dickens" flüchtet sich der kleine J.R., wenn er das Elend, das Chaos, die Streitereien mit dem Opa zu Hause nicht mehr aushält. Hier in der Bar hört er zum ersten Mal Frank Sinatra, sieht sein erstes Baseballspiel, lernt viel über Mut, Zuversicht, die Liebe und dass man an gebrochenem Herzen nicht stirbt. Erlebt, dass Träume wahr werden können, wenn man für sie kämpft.
Die Bar wird J.R. ein Leben lang begleiten - sie ist Zuflucht, irgendwann Abgrund und am Ende eine zärtliche Erinnerung. Der Autor J.R. Moehringer ist der kleine Junge, von dem das Buch erzählt.
"Tender Bar" ist seine Geschichte, ganz nah erzählt, bewegend, berührend, dramatisch und komisch zugleich. Eine unwiderstehliche Mischung. Es setzt dem Radio ein kleines, aber feines Denkmal.
Eine Rezension von Christine Westermann
Literaturangaben:
J.R. Moehringer: Tender Bar
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit
S. Fischer Verlag, 2023
459 Seiten, 13 Euro