Ihr Nachlass war umfangreich: Logbücher, persönliche Briefe, Vorträge, Gedichte, Zettel, auf denen sie sich irgendwelche Notizen gemacht hatte. Im Grunde, schreibt Jo Lendle, hat sie dieses Buch selbst geschrieben. Es erzählt die Geschichte einer Frau, die als Heldin gefeiert wurde, aber nie eine sein wollte.
Amelia Earhart wollte etwas erreichen, aber nicht als erste Frau, sondern schlicht "als irgendwer". Schließlich hat "der Himmel mich nie gefragt, wer ich bin". Sie wurde als Kämpferin für die Frauenrechte gefeiert, aber kämpfen wollte sie gar nicht, sie hat die Männer gemocht, manche geliebt, einen geheiratet.
Der Roman erzählt entlang der Lebenslinie einer ungemein charismatischen, klugen, witzigen, eigensinnigen Frau, die sich von nichts und niemandem bange machen lässt. Sie wurde zur "Frau des Jahres" gewählt und galt in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts als das Idol ihrer Zeit. In einem Leben wie dem ihren "kann man sich aufs Allerschönste verlieren", hat der Autor in einem Interview erzählt. Und das tut er, bewegt sich manchmal weg von den Fakten, traut sich, das Leben von Amelia Earhart in eine andere Richtung zu denken.
Am 2. Juli 1937 bricht Amelia Earhart zur vorletzten Etappe ihrer Weltumrundung auf. Sie weiß, es wird die schwerste, unter ihr nichts "als der unaufhörliche Ozean". Wie soll man die Geschichte der Amelia Earhart anders als rückwärts erzählen, hat sich Jo Lendle gefragt.
Und so beginnt sie mit diesem Tag Anfang Juli 1937. Amelia Earhart weiß noch nicht, dass es der letzte ihres Lebens sein wird. Als sie Jahre zuvor mit dem Fliegen begann, hatte sie einmal auf einem Zettel notiert: "Fliegen lernen heißt Sterben lernen."
Eine Rezension von Christine Westermann
Literaturangaben:
Jo Lendle: Die Himmelsrichtungen
Penguin Verlag, 2024
256 Seiten, 24 Euro