Weihnachtsbücher mit Elke Heidenreich

Stand: 06.12.2024, 11:48 Uhr

Winterzeit ist Lesezeit und weil das so ist, sind Bücher auch tolle Geschenke. Unsere Bücherfrau Elke Heidenreich liest das ganze Jahr und stellt uns Bücher vor. Und für Weihnachten hat sie gleich einen ganzen Stapel mitgebracht, da ist bestimmt etwas für jeden dabei!

Von Elke Heidenreich

"Man kann auch in die Höhe fallen" von Joachim Meyerhoff

Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff schreibt all seine Romane am eigenen Leben entlang, aber ohne den grimmigen Ernst, wie etwa Karl Ove Knausgard. Hier ist immer etwas zu lachen, denn die Theater-Anekdoten sind oft an Irrsinn nicht zu überbieten und Meyerhoffs Blick auf die Welt ist eher ein freundlich-fassungsloser: Was einem nicht alles passieren kann!
Mit leichter Hand hat er uns erzählt von seiner Kindheit in einer psychiatrischen Anstalt, in der sein Vater Arzt war, von seinen Anfängen als Schauspieler, als er in München bei seinen alkoholisierten Großeltern wohnte, von seinen Lieben, seinen Kindern, sogar von seinem Schlaganfall – "Hamster im hinteren Stromgebiet" hieß das Buch.
Und jetzt ist er 56, genesen, aber mit psychischen Nachwirkungen und siehe da, er wird wehleidig und griesgrämig. Er ist gereizt, er hat eine Lebenskrise, er weiß nicht weiter und fährt zu seiner 86-jährigen Mutter aufs Land. Und auf einmal nimmt das Buch Fahrt auf: Diese Mutter ist umwerfend. Sie hat Charme, Witz, Energie, sie überhäuft diesen Jammerlappen von Sohn mit Gartenarbeit, sieht, wie er verblüht, während sie sich gerade noch mal neu verliebt in einen jüngeren Mann (unerhörte drei Jahre jünger!) und auf einmal bekommt auch Sohn Joachim wieder Kraft, diese hinreißende Mutter zieht ihn zurück ins Leben – mit täglichem Schwimmen im Meer, mit täglichem Whisky, mit Erzählen und Zuhören und Lebenslust und Liebe. Und beim Schreiben über sie findet unser Autor wieder zu sich selbst – und sein wunderbarer Roman zu uns.
Er kanns noch, der Meyerhoff.

"Hereimspaziert. Neue komische Gedichte." von Thomas Gsella

Ja, es heißt wirklich "Hereimspaziert", weil sich hier alles reimt. Der großartige Thomas Gsella hat neue komische (sehr komische!) Gedichte geschrieben und wenn ich aus dem Vorwort von Max Uthoff zitiere, dann ist das genau meine Meinung, aufgepasst: "Dies ist kein Vorwort, sondern eine handfeste Drohung. Thomas Gsella wird ab sofort von jedermann gelesen und rezitiert, sonst werd ich drastisch.“
So. Sie wissen Bescheid.

"Die Himmelsrichtungen" von Jo Lendle

Das ist ein packender Roman über die Fliegerin, die Flug-Pionierin Amelia Earhart – er beginnt mit ihrem letzten Flug und endet in der Kindheit, als die Begeisterung für den Himmel anfing, es wird also rückwärts erzählt. Der letzte Tag ist der 2. Juli 1937, Amelia Earhart fliegt hoch über dem Ozean und ist dabei, als erster Mensch die Welt in der Luft zu umrunden.
Kurz zuvor war sie in einem Fernsehstudio und sagte zum Moderator, der wissen wollte, was sie an dieser Idee so reizte: "Manchmal müssen Frauen zeigen, dass sie können, was Männer können. Und manchmal müssen sie zeigen, dass ihnen etwas gelingt, was noch kein Mann gewagt hat." Sie wagt es, aber es gelingt ihr nicht – kurz vorm Auftanken auf einer kleinen Insel bei der vorletzten Etappe der Weltumrundung bricht jeder Kontakt ab, man weiß bis heute nicht, was genau passiert ist, und Jo Lendle hat diese Geschichte wohl sehr fasziniert. Er zeichnet hier das Porträt einer mutigen und selbstbewussten Frau, erzählt von ihren Anfängen und dem Anrennen gegen Männer in dieser Domäne, von ihrer Entwicklung zur Ausnahmepilotin, auch von ihrem sehr interessanten Privatleben – sie liebte wohl Männer und Frauen und hat sich nie an gängiges Verhalten angepasst.
Erst den sechsten Heiratsantrag ihres Verlegers hat sie schließlich angenommen! Es gibt dazu einen kuriosen Ehevertrag, den der Autor zitiert, und für seinen schönen Roman Tagebücher und Notizen und überhaupt alles benutzt, was er finden konnte, aber es ist keine Dokumentation, sondern ein sehr fein gestrickter literarischer Text, spannend und eben interessant auch in der Rückwärtsgewandtheit – vom Ende an aufgerollt nehmen wir als Leser intensiv an einem wirklich aufregenden Leben einer völlig unkonventionellen und intelligenten Frau teil.

"Drei Tage im Juni" von Anne Tyler

Diese drei Tage im Juni sind der Tag vor der Hochzeit, die Hochzeit selbst und der Tag nach der Hochzeit. Und wieder einmal lässt uns die großartige Anne Tyler in die Abgründe des Familien- und Liebeslebens gucken und spürt feinste Haarrisse gnadenlos auf. Wer heiratet? Debbie heiratet Kenneth. Sie ist die Tochter von Gail, Lehrerin, die gerade erfahren hat, dass sie ihren Job an ihrer Schule verliert, sie sei als Lehrerin sozial nicht kompatibel genug. Sie ist unfassbar wütend und wird nur abgelenkt durch das Tamtam der Hochzeitsvorbereitungen, Schönheitssalon, Friseur, Kleid, das ganze Gedöns.
Da taucht auch noch ihr geschiedener Mann Max bei ihr auf – eigentlich sollte er bei Debbie wohnen, aber er hat seine Katze dabei und Kenneth hat eine Katzenallergie. Er quartiert sich also mit Katze bei Gail ein und kriegt ihre schlechte Laune mit, während Debbie heult, denn ihre künftige Schwägerin hat ihr hämisch mitgeteilt, dass ihr Kenneth sie schon vor der Hochzeit betrogen hat.
Stimmt das? Findet die Hochzeit nun nicht statt? Und quartiert sich Max etwa gemütlich bei Gail ein? Geht alles gut oder alles den Bach runter? Das zu lesen ist ein einziges Vergnügen, mitten aus dem Leben und so, wie das eben nur Anne Tyler kann.