Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer

Meuth und Duttenhofer: Artikel 3 - Gleichberechtigung

Stand: 30.04.2019, 12:16 Uhr

Für die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau ließen sich die deutschen Gesetzgeber viel Zeit. Erst 1977 erhielten verheiratete Frauen per Gesetz die volle Geschäftsfähigkeit. "Unfassbar", lautet dazu der Kommentar von Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer bei WDR 3.

Meuth und Duttenhofer über Artikel 3 – Gleichberechtigung

WDR 3 01.06.2017 01:23 Min. UT Verfügbar bis 31.05.2180 WDR 3

Meuth und Duttenhofer: Artikel 3 - Gleichberechtigung

WDR 3 Kultur am Mittag 22.05.2019 05:37 Min. Verfügbar bis 31.01.2099 WDR 3


Martina Meuth: Ganz schön fortschrittlich, damals bereits dieser Gedanke der Gleichberechtigung.1948!Damals wurde der Parlamentarische Rat gegründet, das waren 65 Abgeordnete - darunter 4 Frauen - traten zusammen, um das Grundgesetz für die zu gründende Republik zu schaffen.

Bernd Neuner-Duttenhofer: Dabei war die Idee gar nicht neu: Es stand schon in der Weimarer Verfassung: "Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten".

Martina Meuth: Rechte und Pflichten – das war wildumstritten damals. Elisabeth Selbert, eine der vier Grundgesetz-Mütter, kämpfte leidenschaftlich dafür, dass "die Pflichten" gestrichen wurden.

Keine Pflichten für Frauen

Bernd Neuner-Duttenhofer: Das hätte nämlich bedeutet, dass Frauen Wehrdienst hätten leisten müssen, der Familie unterhaltspflichtig gewesen wären und noch einiges weitere.

Martina Meuth: Und das wollte die SPD-Juristin aus Kassel unbedingt vermeiden. Sie erreichte dann, gegen den erbitterten Widerstand der männlichen Kollegen aus den konservativen Parteien, dass formuliert wurde: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

Bernd Neuner-Duttenhofer: Aber trotzdem änderte sich nichts, weder am völlig veralteten Rollenbild der Gesellschaft, noch im BGB , dem Bürgerlichen Gesetzbuch.

Martina Meuth: Der Mann war weiterhin das Familienoberhaupt und bestimmte alles: wo die Familie wohnte, ob und wie die Ehefrau berufstätig war, wieviel Taschengeld ihr blieb, - selbst von ihrem eigenen Erbe!

Bernd Neuner-Duttenhofer: Und über das Haushaltsgeld - also, was sie für Essen, Putzmittel und so weiter ausgab, da musste sie Rechenschaft ablegen. Und größere Haushaltsanschaffungen durfte sie ohne Zustimmung ihres Mannes ohnehin nicht machen.

Erst 1958 trat das Gleichberechtigungsgesetz im BGB in Kraft

Martina Meuth: Erst 1957 bequemte sich die Adenauerregierung, ein Gleichberechtigungsgesetz zu verabschieden. Es war ursprünglich für 1953 geplant und trat dann schließlich im Sommer 1958 - also fast zehn Jahre später - in Kraft. Erst dann wurden die Gesetze im BGB entsprechend geändert – die bis dahin im Grunde verfassungswidrig waren.

Bernd Neuner-Duttenhofer: Und es dauerte nochmal zwanzig Jahre, bis 1977 eine verheiratete Frau die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit erhielt, also über ihr Leben frei entscheiden konnte. Unfassbar eigentlich!

Martina Meuth: Tja, inzwischen können Frauen zwar ihr eigenes Konto einrichten und müssen sich im Prinzip nichts mehr von ihren Männern sagen lassen. Aber wie sieht es heute mit der Gleichberechtigung aus?

Bernd Neuner-Duttenhofer: Heute glauben viele, es reicht durch ständiges Genderisieren der Sprache der Gleichberechtigung Genüge zu tun: "Bürgerinnen und Bürger, Leserinnen und Leser und Hörerinnen und Hörer oder das StudierendenWerk" - und so weiter und sofort, weil Studentenwerk gendermäßig nicht korrekt ist – das ist doch absurd, klingt einfach nur albern und bringt niemandem was, oder?

Frauenfeindlichkeit bei rechten Parteien

Martina Meuth: "….der Staat wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin", fordert das Grundgesetz. Aber solange die Gleichberechtigung nicht als selbstverständlicher Fakt in den Köpfen der Menschen verankert ist, nutzt alles nichts. Obwohl viel passiert ist, in den vergangenen 70 Jahren, seit wir unser Grundgesetz haben. Vor allem die 68er haben viel in den Köpfen bewegt, und nicht zuletzt haben wir Alice Schwarzer eine Menge zu verdanken.

Bernd Neuner-Duttenhofer: Aber Frauenfeindlichkeit findet man bei den rechten Parteien. Die haben zwar Frontfrauen, Marine Le Pen, bei der AfD sogar eine, die mit einer Frau zusammenlebt, aber trotzdem haben die mit Gleichberechtigung nichts am Hut. Das klingt nicht nur verquer - das ist es auch.

Martina Meuth: Heute ist völlig selbstverständlich, dass Frauen einen Beruf haben. Als ich zur Schule ging, herrschte durchaus noch die Meinung, dass eine sorgfältige Ausbildung für Mädchen völlig unnötig sei, "sie heiratet ja doch!" Für meinen Vater aber war die Gleichberechtigung höchstes Gut. Er drang darauf, dass seine einzige Tochter nach drei Söhnen ein ordentliches Abitur macht.

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden

Bernd Neuner-Duttenhofer: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Also, höchst aktuelle Sache. Mit der Bevorzugung, nun da ist es nicht immer so ganz richtig. So manche Steuer- oder Verkehrsverfehlungen einiger Prominenter, wenn man die betrachtet, die werden schon weniger krass geahndet, als bei Otto Normalverbraucher oder Lieschen Müller.

Martina Meuth: Aber im Allgemeinen operiert Justitia, ohne unter ihrer Augenbinde hervorzuschielen.

Bernd Neuner-Duttenhofer: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Dieser Satz ist übrigens relativ neu, er wurde erst 1994 angehängt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, diese Forderung, aber wie oft erlebt man genau das.

Martina Meuth: Mein geistig behinderter Bruder Matthias erlebte das nahezu jeden Tag. Gottlob war er selbstbewusst und selbstständig genug, sich zu wehren: "Ich bin behindert", sagte zum Beamten, der ihm pampig kam, "Sie müssen freundlich zu mir sein und mir helfen!“ Und der tat das meist dann auch - verblüfft, wie er war.

Bernd Neuner-Duttenhofer: Fazit: Der Artikel 3 – ein kluger Satz, der in jeder Hinsicht wichtig ist. Aber man muss ihn sich und anderen immer wieder klarmachen, bereits den kleinen Kindern im Kindergarten erklären und vorleben, damit das Bewusstsein darüber, dass wir alle Menschen sind, jedem in Fleisch und Blut übergeht.

Martina Meuth: Und dann ist hoffentlich jedem, wirklich jedem klar, dass wir alle gleich sind, egal, welche Hautfarbe wir haben, welche Sprache wir sprechen, an wen oder was wir glauben und woher wir kommen – denn schließlich sind wir alle Fremde!

Bernd Neuner-Duttenhofer: Fast überall!