Regisseur Andreas Dresen über Filmmusik
Stand: 11.10.2024, 15:06 Uhr
Film- und Tonkunst autark nebeneinander stehend, das findet Andreas Dresen spannend: „Gerade weil es vielleicht nicht immer ganz genau passt.“ Warum Nino Rota für ihn einer der größten der Filmkomponisten ist, und wie er selbst Musik in seinen Filmen einsetzt, verrät er im Gespräch mit Daniel Finkernagel.
Daniel Finkernagel: Wie finden Sie heraus, ob und wenn ja, in welchem Umfang Filmmusik in Ihrer Arbeit, in Ihrem Film eine Rolle spielen soll?
Andreas Dresen: Das ist ganz unterschiedlich. Musik kann im Film unheimlich manipulativ sein. Wenn man sich schlechte Fernsehserien anguckt, dann kann man das gut hören. Immer wenn es traurig ist, werden irgendwelche Mollakkorde eingespielt. Diese manipulative Seite von Filmmusik mag ich gar nicht. Oder wenn eine Inszenierung, die nicht ganz gelungen ist, mit irgendwelchen Akkordflächen zugekleistert wird, wie diese Wellness-Musik, die man manchmal in einer Sauna unerträglicher Weise hören muss.
Ich gehe meistens so ran, dass ich mich schon beim Drehbuch frage, was höre ich für mich? Was kann ich mir dazu vorstellen? Manchmal ist das da. Ich habe einen Film gemacht, den Wolfgang Kohlhaase geschrieben hat, "Whisky mit Wodka" heißt er. Der spielt in der Filmbranche, und da wird im Film eine Geschichte gedreht, die in den 20er-Jahren spielt. Da haben wir sehr viele alte Jazzstücke verwendet, die es schon gab. Ich konnte mir das von Anfang an gut vorstellen, weil das dem Film einen nostalgischen, ein bisschen entrückten Charakter gibt.
Ich habe einen Kinderfilm gedreht, "Tim Thaler oder Das verkaufte Lachen", nach dem Roman von James Krüss. Da war von Anfang an klar, dass das wahrscheinlich einen Orchester-Score braucht, der ganz klassisch komponiert ist. Und bei einem Film wie "In Liebe, Eure Hilde" konnte ich mir gar keine Musik vorstellen, der hat auch keine.
Ich bin ein ganz großer Fan von Kubricks Umgang mit Filmmusik, der sehr, sehr intensiv auch mit klassischer Musik gearbeitet hat. Bei ihm ist oft der Effekt da, dass man gar nicht weiß, kreieren die Bilder die Musik oder ist es die Musik, die Bilder hervorbringt? Wenn diese beiden Kunstformen sehr autonom miteinander in Umgang geraten, finde ich das klasse.
Es ist sehr hilfreich, wenn man mit bereits existierender Musik arbeitet. Sie aus dem Archiv holt oder wie Kubrick klassische Stücke benutzt. Bei "2001 [Odyssee im Weltraum]", das ist archaisch. "Also sprach Zarathustra", dieses Motiv am Anfang hat eine unglaubliche Wucht. Mit so etwas zu arbeiten, wo beide Elemente in ihrer Kunstformen autark nebeneinander stehen und sich gegenseitig auf interessante Art befruchten, gerade weil es nicht immer ganz genau passt. Das finde ich ziemlich spannend.
Sie sind selbst sehr musikaffin: Als Opernregisseur oder als Musizierender, als Gitarrist in einer Rockband. Wie sieht der Dialog zwischen der Filmkunst und der Tonkunst in Ihrem Kopf aus?
Ich habe schöne Entdeckungen häufig auch per Zufall gemacht. Das ist sehr reizvoll. Die Zufälle, die man manchmal entdeckt, wenn man mit Bildern und Musik arbeitet, das sind genau die Dinge, die man nicht vorher im Kopf hat. Bei denen man nicht aus einem Konzept arbeitet, sondern plötzlich etwas entsteht.
Ein Beispiel: Bei dem Film "Sommer vorm Balkon" gibt es eine musikalische Ebene, in der alte 70er-Jahre Schlager gespielt werden. Der Film spielt aber in der Gegenwart. Die Figuren, die da unterwegs sind, hören auch nicht unbedingt Nana Mouskouri zum Frühstück. Dort gibt es eine alte Berliner Kneipe, in der auch Musik laufen sollte. Dafür hatte ich im Schneideraum eine Schlager-CD mitgebracht, weil ich dachte, das könnte vielleicht in der Kneipe so im Hintergrund dudeln, das hilft der Szene.
Weil das in der Kneipe gut funktionierte, haben wir angefangen mit diesen Schlagern auch in anderen Szenen herumzuexperimentieren. Und plötzlich ist eine ganz feine, ironische, ein bisschen verspielte Ebene für den Film entstanden und eine eigene Form von Filmmusik-Benutzung. Die Schlager kommentieren die Handlung auf absurde Art. Sehr, sehr reizvoll, wenn man anfängt, mit sowas auf eine spielerische Art umzugehen. Dann entstehen andere Räume in Filmen, und das finde ich aufregend.
Das Tolle am Schlager, ob man ihn mag oder nicht: Mit dem ersten Akkord, mit dem ersten Sound sind wir in einer bestimmten Zeit. Das schafft der Film kaum, denn wir hören ein Motiv aus dem Schlager und sind sofort in den 70er oder 80er Jahren.
"Ich fand sie irgendwo, allein in Mexiko...." Jeder kann es singen.
Anita...
"Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung...."
Sie kennen sich ja richtig aus...
...das ist das Zeug, das wir benutzt haben in dem Film. Ich war jetzt nie Schlagerfan, aber komischerweise, das geht wahrscheinlich den meisten von uns so, kann man diese Dinger irgendwie singen, obwohl man sie in der Zeit nur zufällig mal an der Eisbude oder im Radio gehört hat. Das ist schon interessant, man benutzt so etwas, spielt damit und macht plötzlich ganze Türen auf.
Zu guter Letzt noch mal ganz tief in die Mottenkiste des großen Films reingreifen: Eine Filmmusik, bei der Sie sagen, wunderbar. Was wäre das bei Ihnen?
Nino Rota - La Strada! Nino Rota ist für mich einer der Größten, ein fantastischer Film-Komponist. In den frühen Filmen von Fellini ist er oft auf der Höhe seiner Kunst. Das ist auf der einen Seite liedhaft, was er motivisch erschafft. Man kann die Dinger nachsingen. Das Hauptthema aus "La Strada" ist ein Klassiker. Auf der anderen Seite hat er auch eine Brechung in seiner filmmusikalischen Gestaltung. Das hat häufig etwas Zirzensisches.Er drückt eben auch nicht so offensichtlich auf die emotionale Tube, sondern findet eine eigene Form und das häufig in einer orchestralen Gestaltung. Das finde ich ganz bemerkenswert.
Im neuen Film von Andreas Dresen "In Liebe, Eure Hilde" gibt es keine oder fast keine Filmmusik. Trotzdem ein unglaublich sehenswerter und sehr, sehr bewegender Film. Lieber Herr Dresen, ganz herzlichen Dank.
Ich bedanke mich auch.