WDR 3 Werkbetrachtung: Gustav Mahlers erste Sinfonie
Euphorie und Todesnähe, Tragik und Groteske - emotionale Extreme prägen Gustav Mahlers Sinfonien. Gegensätze, die schon in der ersten Sinfonie angelegt sind, erklärt der Dirigent Christoph Altstaedt, der uns Mahlers vielschichtige Klangwelten näherbringt.
"Die höchste Glut der freudigsten Lebenskraft und die verzehrendste Todessehnsucht: beide thronen abwechselnd in meinem Herzen", schreibt der 19-jährige Gustav Mahler. Die innere Zerrissenheit, die starken Kontraste sind charakteristische Merkmale seiner Musik. Der typische Mahler’sche Tonfall ist schon in der ersten Sinfonie deutlich zu erkennen. Im November 1889 wird unter der Leitung des Komponisten das Werk in Budapest als "Symphonische Dichtung" uraufgeführt. Danach hat Gustav Mahler das Werk noch mehrfach umgearbeitet.
Zunächst hatte die Sinfonie in D-Dur fünf Sätze und für eine Aufführung in Hamburg gab ihr Mahler den Titel "Titan, eine Tondichtung in zwei Abschnitten" und ein Programm. "Jugend-, Zucht- und Dornenstücke" hieß der erste Teil mit den Sätzen "Frühling und kein Ende", "Blumine" und "Mit vollen Segeln". Der zweite Teil "Commedia humana" enthielt die Sätze "Ein Totenmarsch in Callot’s Manier" und "Dall’inferno al paradiso". Wenige Jahre später hat Mahler die Titel wieder verworfen und den zweiten Satz "Blumine" gestrichen.
Gustav Mahler nimmt in seiner ersten Sinfonie Bezug auf seine "Lieder eines fahrenden Gesellen", die 1884 entstanden. Im ersten Satz zitiert er das Lied "Ging heut‘ morgen übers Feld", im dritten Satz "Die zwei blauen Augen" und daraus die Zeile "Auf der Straße steht ein Lindenbaum". Es ist das Bild des Wanderers, der unter dem Lindenbaum Ruhe sucht.
Wie im Nebel, mit einem kaum wahrnehmbaren, stehenden Ton beginnt die Sinfonie Nr. 1 in D-Dur. Einzelne Bläserstimmen nimmt man wahr. Ein dichter, ungeheuer moderner Einstieg in eine Klangwelt, die im zweiten Satz mit einem derben, volkstümlichen Ländler fortgefühlt wird. Der bekannte Kanon "Bruder Jakob", gespielt vom Kontrabass, leitet den dritten Satz ein, einen grotesken Trauermarsch mit Blaskapelle. Im vierten Satz "Stürmisch bewegt" nimmt Mahler Bezug auf den ersten und endet jubelnd in strahlendem D-Dur.
Für den Dirigenten Christoph Altstaedt ist ein unverwechselbares Merkmal von Mahlers Musik, die Gleichzeitigkeit von verschiedenen musikalischen Charakteren, die Verbindung von Kunst- und Gebrauchsmusik. Mahler möchte die Welt in Töne fassen und entwickelt einen ganz eigenen Klangkosmos.
Eine Collage von Eva Küllmer
Redaktion: Eva Küllmer