15.04.2024 – Verdi, "Un ballo in maschera" in Köln
Stand: 15.04.2024, 09:30 Uhr
Vom Dirigenten Giuliano Carella kamen bei der Kölner Premiere von Verdis "Un ballo in maschera" Impulse vor allem, um das Geschehen zwischen der Bühne und dem im Staatenhaus weit links positionierten Orchester akustisch zusammenzuhalten. Dazu wandte er sich mehrmals vom Gürzenich-Orchester ab und dirigierte in Richtung Bühne, ein deutliches Signal, dass hier etwas aus dem Ruder zu geraten drohte und gerade noch eingefangen werden konnte.
Gerade noch, wenn man sich den imposanten Auftritt der Wahrsagerin Ulrica vergegenwärtigt. Agostina Smimmero trat mit großvolumiger dunkler Stimme auf, gekleidet in einen Trampermantel und Schiebermütze. Aber anstatt, dass sich die markanten dissonanten Klänge aus dem Orchester und ihre düsteren Prophezeiungen bei "Chi voi siate, l’audace parola" gegenseitig zu einer klanglichen Eindringlichkeit verstärkten, hatte man den Eindruck, als bremste das Orchester, was so nicht der Fall war, aber durch räumliche und akustische Trennung so wirkte. Dadurch verlor die Szene an Wucht.
Nicht nur bei Agostina Smimmero als Ulrica war das Potenzial für eine eigentlich interessante Rollenausdeutung vorhanden, auch bei Gaston Rivero als Graf Riccardo. Selten hat man nämlich einen so potenten und stimmlich beweglichen Spintotenor zur Verfügung. Aber leider hatte es damit auch sein Bewenden. Noch als er von seinem einstigen Freund Renato tödlich getroffen wurde, steht er da und schmettert mit vollen Tönen sein "Addio, miei figli, per sempre". Das machen zwar auch andere Sänger, aber hier wurden die faszinierend makellosen Tenorkünste konterkariert durch geradezu unbeholfenes Agieren auf der Szene. Da wurden Arme ausgebreitet, der breite Bühnenraum gequert, zurückgeeilt und gestikuliert, suchend herumgeblickt, alles standardisierte Operngesten.
Dabei unternahm der Regisseur Jan Philipp Gloger sogar den Versuch, der Figur des großmütigen, moralisch integren Herrschers, wie er sonst gesehen wird, den Charakterzug der Leichtlebigkeit und Vergnügungssucht beizugeben. Aber es wirkte fast unfreiwillig komisch, wenn er minutenlang zur Mazurka auf dem Maskenball im Dreierschritt mühsam tänzelte oder im zweiten Akt mit Kandelaber und Champagnerflasche umständlich ein Liebeslager für sich und Amelia vorbereitete. Astrik Khanamiryan als Amelia wirkte den ganzen Abend über statuarisch. Auch gesanglich hatte sie vor allem damit zu tun, etwa bei ihrer großen Arie "Ma dall’arido stelo divulsa", das Flackernde ihrer Stimme im Mezzopiano einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Renato, der Freund und später der erbitterte Gegner und Mörder von Riccardo ist eigentlich eine Figur von großer charakterlicher Vielschichtigkeit. Auch davon war in der Kölner Produktion mit Simone del Savio wenig zu spüren. Aber er konnte das gut ausgleichen durch seine sonore Baritonstimme, der er wie in seiner Hauptarie "Eri tu" dunkle Zwischentöne der Verzweiflung und erregte Passagen von aufbrodelndem Hass beimischte.
Hila Fahima als Page Oskar meisterte die Koloraturpassagen der Partie souverän und zeigte in ihrer Schlussnummer "Saper vorreste" nicht nur Beweglichkeit sondern an der Stelle auch stimmliche Wärme. In dem opulenten Pierrot-Kostüm war sie eine überaus aparte Bühnenerscheinung und ließ Hintersinn spüren. Auch Christoph Seidl und Lucas Singer als Verschwörer Samuel und Tom wirkten schauspielerisch sehr präsent und stimmlich agil, so dass es letztlich diese drei Nebenrollen waren, die wie eine Stütze der Produktion wirkten.
Jan Philipp Gloger und sein Bühnenbildner Ben Baur verlegten den Schauplatz vom fernen Boston ins nahe Italien des späten 19. Jahrhunderts. Aus Riccardo wird König Umberto I., der in der italienischen Einigungsbewegung das Erbe von Vittorio Emanuele II. fortsetzte und im Jahre 1900 einem Attentat zum Opfer fiel, angeblich als Racheakt auf seine zweifelhafte Rolle bei der blutigen Niederschlagung einer Sozialrevolte. Die Kölner Produktion spielt daher in einem im Empirestil gestalteten Einheitsraum, in dem links Umbertos Thron steht und rechts sein übergroßes Denkmal, das am Schluss geschleift wird. Zusätzlich werden gelegentlich rote Fahnen geschwenkt, als Zeichen sozialrevolutionärer Machenschaften im Volk. Den hauptsächlichen optischen Eindruck dieser Produktion erzeugen aber die Kostüme von Sibylle Wallum, bis hin zu opulentem Rokokoflair im Maskenball, garniert durch eine Tanzgruppe in lila-farbenen Catsuits und Rüschenkragen.
Premiere: 14.04.2024 noch bis 10.05.2024
Besetzung:
Riccardo: Gaston Rivero
Renato: Simone del Savio
Amelia: Astrik Khanamiryan
Ulrica: Agostina Smimmero
Oscar: Hila Fahima
Silvano: Wolfgang Stefan Schwaiger
Samuel: Christoph Seidl
Tom: Lucas Singer
Ein Richter: Michael Terada
Ein Diener Amelias: Zenon Iwan
Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Musikalische Leitung: Giuliano Carella
Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Bühne: Ben Baur
Kostüme: Sibylle Wallum
Choreographie: Nwarin Gad
Licht: Andreas Grüter
Chorleitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Svenja Gottsmann