Florestan (Martin Homrich) im Verlies, in: "Fidelio schweigt"

13.05.2024 – Charlotte Seither/Ludwig van Beethoven, "Fidelio schweigt" in Gelsenkirchen

Stand: 13.05.2024, 09:30 Uhr

Tatsächlich kann das Verwechslungsspiel mit der verliebten Marzelline, der verkleideten Leonore, dem düpierten Jaquino und dem altväterlichen Rocco mit seinen Ratschlägen wie ein Anhängsel an eine Oper wirken, in der es sonst um die großen Themen Staatswillkür und Auflehnung gegen Tyrannei geht. Die Komponistin Charlotte Seither hat deswegen den biedermeierlichen Teil von Beethovens "Fidelio" weggelassen und beginnt mit Florestans Arie aus dem Verlies "Gott! Welch Dunkel hier". Ihr Stück heißt "Fidelio schweigt", denn Leonore braucht kein männliches Alter Ego mehr, sondern tritt von Anfang an als Kämpferin und politische Aktivistin auf. Das Auftragswerk des Musiktheaters im Revier war ursprünglich für das Beethoven-Jahr 2020 gedacht und kam pandemiebedingt erst jetzt zur Uraufführung.

Alle wichtigen Arien, Chöre und Ensembles Beethovens bleiben erhalten, Pizarros Rachearien und Mordpläne genauso wie das Terzett im Kerker oder die Gefangenenchöre. Das Ganze spielt im Hof eines modernen Gefängnisses, wie man es sich überall vorstellen kann. Charlotte Seither hat an bestimmten Stellen das Seziermesser an Beethovens Partitur angelegt und Szenen mit eigenen Klängen eingefügt, die aber gegenüber Beethovens Musik zart und zurückhaltend wirken: Streicher-Glissandi, Paukengrummeln, Liegetöne des Orchesters. Einmal gibt es einen Chor der Frauen, die die Gefangenen besuchen und eine rituelle Szene, in der die Frauen Florestan salben sowie eine von Seithers Klängen grundierte neue Dialogszene (auf Worte von Hermann Schneider), in der Pizarro und Leonore die Polarität von Staatsräson, die angeblich Gewalt legitimiert, und einem gerechten Staat diskutieren. Dies findet im Hotelzimmer Pizarros statt, den Leonore wohl von früher kennt.

Nach diesem Dialog ist sie vollends entschlossen, ihre politische Mission zu erfüllen, die über die bloße Befreiung des Ehegatten hinausgeht. In der Zelle kommt es zum Schusswechsel, bei dem – anders als bei Beethoven – sowohl Pizarro als auch Florestan zu Tode kommen.

In der Schlussszene erklingt dann Beethovens Chor "Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde", jetzt häufiger unterbrochen und nicht im vollen Orchestersound, sondern im Streichquartett ausklingend. Leonore ist inzwischen selbst Ministerin in einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Tyrannei.

Seithers und Schneiders Umdeutungen und Akzentuierungen in ihrer "Dialog-Oper", so der Untertitel, wirken schlüssig. Sie befördern an Beethovens "Fidelio" zutage, was implizit vorhanden ist und was gute Regisseure sonst mit szenischen Mitteln tun. Eine solche deutende Regiearbeit auf das Musikalische, das sonst in den Opernhäusern sakrosankt ist, auszudehnen, ist mutig, zugleich aber auf eine sympathische Art zurückhaltend, wenn es so geschieht wie hier, auch in der musikalischen Umsetzung von Peter Kattermann.

Uraufführung: 12.05.2024 noch bis zum 02.06.2024

Besetzung:
Leonore: Ilia Papandreou
Florestan: Martin Homrich
Pizarro: Benedict Nelson
Rocco: Almas Svilpa
1. Gefangener: Jongyoung Kim
2. Gefangener: Oliver Aigner

MiR Opern- und Extrachor
Opernstudio NRW
Neue Philharmonie Westfalen

Musikalische Leitung: Peter Kattermann
Inszenierung: Hermann Schneider
Bühne, Kostüm & Video: Falko Herold, Vincent Mesnaritsch
Licht: Thomas Ratzinger
Mitarbeit Kostüm: Anna von der Heide
Ton: Jörg Debbert, Dirk Lansing
Choreinstudierung: Alexander Eberle
Dramaturgie: Hanna Kneißler