Nicole Wacker (eine Wissenschaftlerin) in „Vespertine“

06.04.2025 – Björk "Vespertine", ein Pop-Album als Oper in Bonn

Stand: 06.04.2025, 09:30 Uhr

Es ist mir als Opernkritiker noch nie so gegangen, dass ich bei einer Opernaufführung immer wieder an das Popalbum denken muss, das dieser Produktion zugrunde liegt, an das Album "Vespertine" von Björk. Kaum zu glauben, dass es schon 2001, vor einem Vierteljahrhundert erschienen ist. Björks fragile, ausdrucksvolle Stimme, eine zugleich hintersinnige wie leidenschaftlich nervöse Lyrik und kunstvolle elektronische Klänge lassen diese 12 Songs uch heute noch modern, geradezu avantgardistisch erscheinen.

Diese kunstvolle Popmusik mag die Gruppe "Himmelfahrt Scores" bewogen haben, aus Björks Musik ein Arrangement für 2 Soprane, Kindersolist, Bariton, Frauenchor und Orchester herzustellen, das 2018 in Mannheim uraufgeführt wurde und nun am Theater Bonn erneut gespielt wurde.

In dieser Opernversion von "Vespertine" hört man mal einen dramatisch ausladenden Sopran in dem Song "Aurora", mal Musicalsound wie in "Cocoon", einen zarten Knabensopran und Minimalmusic-Stil in "It‘s Not Up To You", mystischen Chorklang von weit her in "Undo", schließlich einen nachdenklich rezitierenden Bariton wie in "An Echo A Stain". Die Arrangements sind intelligent gemacht, und die Ensembles in Bonn unter Leitung von Hermes Helfricht setzen das engagiert und kundig um. Aber bei der Übersetzung der kratzenden, blubbernden, sphärischen und perlenden Elektroniksounds von Björks Album in das konventionelle "analoge" Operninstrumentarium ist das Charakteristische dieser Musik ziemlich auf der Strecke geblieben.

Als Rahmenhandlung der Verse von Björk hat sich das Regieteam "Kommando Himmelfahrt" eine Forscherin vorgestellt, die in der Arktis eine gefährliche Tierseuche untersucht. Zur deren Einsamkeit in der Eiswüste und zu dem Auf-sich-allein-gestellt-sein passen die Verse von Björk, die ihre Sehnsüchte auch nach Geborgenheit, ihre Abgrenzungen oder Zweifel in so irritierende Metaphern kleidet wie "Durch die wärmste Nabelschnur wurde mir deine Liebe geschenkt, ich bin mir nicht sicher, was ich damit tun soll oder wohin mit ihr" (in "Hidden Place"). Auch die weiteren Figuren auf der Bühne, die sich aus den schon in der Partitur vorgenommen Aufspaltungen ergeben, ein Hirsch-Mann als Natur- und Männlichkeitssymbol, der Knabe als Mutterprojektion, der zweite Sopran als abgespaltenes Alter ego, kann man sich gut als halluzinative Nebenwirkung eines Aufenthalts in der Arktis vorstellen.

So gewinnt der 90 Minuten lange Abend eine eigene dramaturgische Plausibilität und erinnert nuir noch von weit her an seine Ursprünge in Björks Album.

Premiere: 05.04.2025 noch bis zum 29.05.2025

Besetzung:

Vespertine
Oper nach dem gleichnamigen Album von Björk
Arrangements von Roman Vinuesa (Himmelfahrt Scores)

Eine Wissenschaftlerin: Nicole Wacker
Ihre Doppelgängerin: Ava Gesell
Ein Junge: Karl Kristiansen
Ein Mann: Carl Rumstadt

Damenchor des Theater Bonn
Ensemble Musikfabrik

Musikalische Leitung: Hermes Helfricht
Regie: Kommando Himmelfahrt [Thomas Fiedler, Jan Dvořák, Julia Warnemünde]
Bühne: Eylien König
Kostüme und Puppen: Kathi Maurer
Video: Carl-John Hoffmann
Dramaturgie: Julia Warnemünde
Choreinstudierung: André Kellinghaus