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Joanna Motulewicz als Carmen

17.01.2024 – Bizet, „Carmen“ in Bielefeld

Stand: 17.01.2024, 09:30 Uhr

Joanna Motulewicz hat eine einnehmende Bühnenausstrahlung von starker Präsenz, eine ideale Carmen, wenn man in dieser Figur eine Mischung aus Dominanz, Erotik, Unverletzlichkeit und Unnahbarkeit sieht, wie die Regisseurin Ute M. Engelhardt in ihrer Neuinszenierung für das Theater Bielefeld.

Aber vielmehr als eine solche Figurenzeichnung zieht Joanna Motulewicz das Publikum mit ihrer Stimme in den Bann. Ob die Auftritts-Habanera, die Seguidilla oder wenn sie Don José zwingt, im Namen der Freiheit zu desertieren, dann sind das bei Joanna Motulewicz immer glutvolle, rhetorisch bewegliche, von einer überaus wohlklingenden Mezzosopran-Stimme getragene dramatische Äußerungen. Wenn sie eine klassische Rolle wie die der Carmen interpretiert, merkt man zugleich, dass sie Erfahrungen im barocken Belcanto hat, etwa der Rolle der Bradamante in Händels „Alcina“ oder in der zeitgenössischen Musik in Opern wie Weinbergs „Die Passagierin“ an der Oper Frankfurt und in Graz. Dort hat sie mit der Regisseurin Nadja Loschky zusammengearbeitet, der Bielefelder Co-Intendantin, und das ist auch der Grund, warum diese herausragende, aus Polen stammende Sängerin wahrscheinlich häufiger in Bielefeld zu erleben sein wird.

Bemerkenswert war außerdem die Art und Weise, wie Robin Davis das musikalische Geschehen leitete. Er ist eigentlich Generalmusikdirektor in Pforzheim, kam aber für eine Aufführung nach Bielefeld. Viele Proben dürfte er nicht gehabt haben, aber er dirigierte, als ob er die Bielefelder Carmen von vornherein einstudiert hätte und nicht der dortige GMD Alexander Kalajdzic. Seine Zeichengebung war präzise, nicht übertrieben, und man spürte, wie er Bühne und Graben zusammenhielt, soweit man das vom Zuschauerraum aus beurteilen kann. Die Ouvertüre ging er flott an, ohne dass die Musik an Plastizität einbüßte im Gegenteil. Während des ganzen Abends hatten auch Mittelstimmen etwas zu sagen, Holzbläser kommentierten das Geschehen auf der Bühne und im Entr‘Acte zum 4. Akt vernahm man im besten Sinn ein schönes Musikantentum. Gleichzeitig reagierte er mit dem Orchester auf szenische Wechsel etwa in der Schlussszene, wo der Mord an Carmen ausdruckshaft im Orchester begleitet wird, um sogleich präzise zur realistischen Bühnenmusik in der Stierkampfarena hinüber zu blenden.

Gegenüber diesen beiden Glanzpunkten konnte man in der neuen Bielefelder „Carmen“ mit dem, was auf der Bühne zu sehen ist, nicht ganz glücklich werden. Man sah zwar eine von folkloristischen Beigaben bereinigte, geradezu abstrakte Bühne von Stephanie Rauch, deren einziges Dekor aus Blüten bestand, die vom Schnürboden fielen und später zu Pyramiden gehäuft wurden. Und man sah eine Personenführung, die zwar Coolness der Carmen und das Ausgeliefertsein des Don José akzentuierte, aber auf die Dauer von drei Stunden doch psychologische Zwischentöne vermissen ließ, etwa wenn Don José zu seiner sterbenden Mutter zurückkehren will und dann unvermittelt, fast beiläufig seine Abrechnung mit Carmen annonciert, ohne dass innere Spannung sich mitteilte.

Besuchte Vorstellung: 16.01.2024, Premiere: 30.09.2023, noch bis zum 21.03.2024

Besetzung:
Carmen: Joanna Motulewicz
Don José: Nenad Čiča
Micaëla: Dušica Bijelić
Escamillo: Frank Dolphin Wong
Frasquita: Veronika Lee
Mercédés: Bella Adamova
Dancaïro: Lorin Wey
Remendado: Gevorg Aperánts
Zuniga: Moon Soo Park

Bielefelder Opernchor und Extrachor
JunOs
Bielefelder Philharmoniker

Musikalische Leitung: Robin Davis ( am 16.01.)
Inszenierung: Ute M. Engelhardt
Bühne: Stephanie Rauch
Kostüme: Christian Andre Tabakoff
Licht: Johannes Paul Volk
Dramaturgie: Anne Christine Oppermann, Laura Herder