21.11.2024 – Mozart, "Le nozze di Figaro" in Bukarest

Stand: 21.11.2024, 09:30 Uhr

David Pountney ist bekannt für seine opulenten, verfremdenden Inszenierungen, aus denen immer ein genuiner Theaterinstinkt spricht. Pountney, der mehr oder weniger auf der ganzen Welt inszeniert, hat letztes Jahr in die rumänischen Hauptstadt Bukarest seine ursprünglich für die Israeli Opera entstandene Lesart von „Le nozze di Figaro“ gebracht, die bei der Wiederaufnahme noch immer taufrisch wirkt.

Die Grundidee hat er aus dem barocken Kulissentheater bezogen. Hauptelement der Bühne von Leslie Travers ist eine Stellwand, die auf der einen Seite in grauem Ton den Hintergrund für das mehr bürgerliche Ambiente von Susanna und Figaro bildet. Zum zweiten Akt wird während der Musik diese Stellwand – oder Mauer, wie Pountney in einem Interview sagte – einfach umgedreht, und man sieht nun gebrochenes Weiß, vor dem die Gräfin und der Graf in farblich abgestimmten Kostümen erscheinen. Und dann im dritten Akt ist die Stellwand um 90 Grad gedreht und teilt die Bühne: Rechts ist nun das Zimmer des Grafen, links von der Wand der Aufmarschraum fürs Volk. Es gibt nur ganz wenige Requisiten: eine Art Ikea Rollsofa im ersten Akt, ein opulentes Rokokobett im zweiten und der verzierte Schreibtisch des Grafen im dritten. Im vierten Akt wird der nächtliche Garten nur durch Pappmaché-Olivenbäume angedeutet, die man vorher schon auf der Hinterbühne durchschimmern sieht. Wichtig sind auch die rollbaren Gerüstleitern, auf denen die Protagonisten von erhöhter Position ihrem Aufritt optischen Nachdruck verleihen – etwa Figaro, wenn er in seiner Cavatine "Se vuol ballare" dem Grafen das Tanzen lehren will. So ist das Ganze eine Art work in progress, bei dem die Bühnenarbeiter in Kapuzenkutten Teil der Inszenierung werden als böse oder heitere Geister. Es ist die sympathische Art eines Understatement-Ausstattungstheaters, das sich nicht mit dramaturgischen Einfällen in den Vordergrund drängt, sondern die Spielräume für eine ziemlich genau entlang der musikalischen Struktur sich bewegende Personenführung ermöglicht, etwa im Finale des zweiten Akts. Marcellina, Bartolo und Basilio bilden hier eine sich bewegende Gruppe, die andere ist Susanna, die Gräfin und Figaro, dazwischen der Graf, um den sich alles dreht. Man begreift das als optische Entsprechung der Partitur.

In der Zeichnung der Charaktere teilt sich eine Lust am Komischen und Drastisch-Deutlichen mit. Bartolo ist ein Schlaks mit Halbglatze und Bart, der die ganze Zeit mit weißem Taschentuch wedelt. Marcellina eine resolute Emanze im körperbetonten Kostüm, fast ein in die Jahre gekommenes Alter ego der jungen Susanna. Die Gräfin ist eine geschwächte, traurige Person. Cherubino ist ein frühreifer Jüngling mit Jeansjacke, dem das Transgenderspiel im zweiten Akte sichtlich Freude bereitet. Den Grafen müsste man wegen sexueller Übergriffigkeit sofort verhaften, wenn er im ersten Akt mit entblößter Brust Susanna gegenübertritt und im vierten Akt Barbarina vergewaltigt. Wenn sie "L‘ho perduta" singt, hat sie nicht etwa die Briefnadel verloren, sondern ihre Ehre. Und ganz am Schluss verzeiht die Gräfin nicht, sondern reist ab. Dies alles zeigen Sängerinnen und Sänger, die fast alle aus dem Ensemble der Bukarester Nationaloper kommen, auf eine intelligente und spielfreudige Weise.

Andreea Bucur (in der besuchten Vorstellung hat Veronica Anușca gesungen) und Iustinian Zetea (Figaro), in “Le nozze di Figaro“ an der Nationaloper Bukarest | Bildquelle: Andrei Grigore/Opera Națională București

Auch gesanglich war die Aufführung (mit einigen Abstrichen, was die nicht gerade schöne Tongebung von Simonida Luțescu als Gräfin anbelangt) auf einem großstädtischen, in Person von Veronica Anușca als Susanna auf einem überragenden Niveau. Ihre Arie "Deh vieni" im vierten Akt war der Höhepunkt der Aufführung. Sie singt hingebungsvoll in den Kleidern der Gräfin, richtet sich aber an den Figaro (Iustinian Zetea in etwas bäuerlicher Statur und volksmusikalischem Drauflos-Singen, inklusive lautstarker Unterstützung der Soufflage). In dieser Szene hat sich der Bräutigam hinter einer Glaswand scheinbar verborgen. Susanna nähert sich ihm, aber man hat das Gefühl, dass die beiden mehr trennt als nur die Glasscheibe – ein weiterer intelligenter Einfall aus Pountneys Theaterwerkstatt.

Vlad Conta am Pult bevorzugte überwiegend straffe Tempi, denen das Orchester mit Präzision zu folgen imstande war, so dass die Aufführung auch vom Graben aus eine schlüssige und ansprechende Mozart-Lesart bot.

Besuchte Vorstellung: 20.11.2024, Premiere Bukarest: 16.06.2023

Besetzung:
Graf Almaviva: Dan Indricău
Gräfin: Simonida Luțescu
Figaro: Iustinian Zetea
Susanna: Veronica Anușca
Cherubino: Adelina Cociobanu
Don Bartolo: Filip Panait
Marcellina: Sidonia Nica
Don Basilio: Liviu Indricău
Curzio: Ioan Coca
Antonio: Vasile Chișiu
Barbarina: Andreea Guriță Novac

Chor und Orchester der Nationaloper Bukarest

Musikalische Leitung: Vlad Conta
Regie: David Pountney
Bühnenbild: Leslie Travers
Kostüme: Ula Shevtsov
Licht: Eyal Levi
Choreinstudierung: Daniel Jinga/Adrian Ionescu