"Der Gipfel der Romantik" (Thomas Mann über Wagners "Lohengrin"-Vorspiel) und "das größte Geschenk Gottes" (Sergiu Celibidache über Bruckner) – Musik, die nur in Superlativen vermessen wird. Wenn die Romantik eine "Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln" ist (Rüdiger Safranski), liefern die beiden heute zu hörenden Werke wohl den besten Beweis.
Ein berühmter Scherenschnitt von Otto Böhler zeigt, wie der nur 1,66 Meter messende Richard Wagner dem um einen halben Kopf kleineren Anton Bruckner eine Dose Schnupftabak anbietet. Vor dem "Meister" beugt Bruckner devot den Rücken. Dieser Schöpfer kühnster Sinfonien, er erstarrte in geradezu kindischer Ehrfurcht, wenn er seinem Abgott begegnete. Am Tisch der Wagner-Jünger nahm Bruckner einen vorderen Platz ein.
Bruckners Ergebenheit gegenüber dem "Hochseligen" kannte keine Grenzen. 1865 begegnete er Wagner bei der Uraufführung von dessen "Tristan und Isolde" zum ersten Mal persönlich. Ein halbes Jahr vor Wagners Tod sahen sich beide zum letzten Mal. Bruckner schreibt bewegt: "Weil mich Hochselber bei der Hand hielt, ließ ich mich auf die Knie, Hochseine Hand an meinen Mund drückend und küssend und sagte: O Meister ich bethe Sie an!!! Der Meister sagte hierauf: Nur ruhig – Bruckner – gute Nacht!!! Dieß war das letzte Wort des Meisters zu mir." Woher stammte diese quasireligiöse Verzückung? Als tiefgläubiger österreichischer Katholik war Bruckner den Ausdruck einer inbrünstigen Verehrung zwar gewohnt. Aber konnte man einem Menschen so huldigen wie der göttlichen Autorität? Wagner verstand es wie kein Künstler vor ihm, einen mythischen Kultus um sich zu errichten. Der Kunst sei es vorbehalten, "den Kern der Religion zu retten", schreibt er und krönt sein Schaffen mit einem "Bühnenweihfestspiel", dem ein eigener Tempel aufgerichtet wird. Der Theaterbau in Bayreuth zielt auf diesen "Parsifal", und seine Erstaufführung erlebt auch Bruckner mit. Er pilgert, wie andere "Gläubige" auch, zu dieser Weihestätte und ist tief erschüttert, als sein Idol nur wenige Monate später stirbt.
"Wunderwirkende Darniederkunft"
Zu den heiligsten Sakramenten, die Wagner spendete, zählt das Vorspiel zu "Lohengrin". Die 1850 in Weimar uraufgeführte Oper bereitete schon sein letztes, erst 32 Jahre später geborenes Werk vor, denn Lohengrin ist Parsifals Sohn, und das Vorspiel beschwört den Gral – jenes geheimnisvolle, heilige Gefäß, in dem einst Christi Blut aufgefangen wurde. Parsifal erobert es zurück, Lohengrin wird vom Gral zu den Menschen entsendet. Wagner deutet das "Lohengrin"-Vorspiel als "wunderwirkende Darniederkunft des Grales im Geleite der Engelsschar", stellt es also selbst in einen spirituellen Kontext. Und wirklich scheint die so fein gesponnene, exquisit instrumentierte Musik federleicht zu schweben. Der sinnliche Effekt von Wagners Musik ruft ein Delirium hervor, der von den ersten Hörer*innen mit einem Opiumrausch verglichen und von andächtigen Aposteln wie Bruckner vermutlich eher als göttliche Vision wahrgenommen wurde. Wie heißt es später im "Parsifal"? "Zum Raum wird hier die Zeit". In den sphärischen Ausdehnungen des "Lohengrin"-Vorspiels hat Wagner diese Aufhebung aller Begrenzungen schon vorweggenommen.
Der Schwanenritter Lohengrin wird auf die Erde geschickt, um den leidenden Menschen beizustehen. Die herbeigesehnte "Erlösung" scheitert hier jedoch noch. Wagner, gebürtiger Leipziger, war lutherisch-evangelisch sozialisiert, begann seine künstlerische Karriere als Anarchist und Sozialrevolutionär. Ob er dann in den Abendmahlsbildern des "Parsifal" zurück "unters Kreuz kriecht", wie Nietzsche spottete, ist zwar diskussionswürdig. Mit religiösen Stoffen und Symbolen aus Christentum, nordischer Mythologie und Buddhismus hat sich Wagner jedenfalls lebenslang beschäftigt. Sein Drama über Jesus von Nazareth blieb aber ebenso unvollendet wie über Luther oder Buddha. Zentral blieb ihm der Gedanke einer "Mitleidsreligion", unabhängig von konfessioneller Gebundenheit.