Am 20. Januar 2025 ist es so weit: Donald Trump wird zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt. Bei einer Zeremonie vor der Westfront des Kapitols in Washington wird der Republikaner eingeschworen und hält im Anschluss seine erste offizielle Rede als Nachfolger von Joe Biden.
Schon jetzt schaut die Welt gebannt nach Washington - auch wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Denn im Wahlkampf hatte Trump angekündigt, den Ukraine-Konflikt innerhalb von 24 Stunden nach seiner Amtsübernahme beenden zu wollen.
Von dem Wahlversprechen des 78-Jährigen ist inzwischen keine Rede mehr. Doch was wird auf die Ukraine im Jahr 2025 zukommen? Und wie werden sich Russlands Präsident Wladimir Putin und Europa verhalten?
Eine Einschätzung vor dem Jahreswechsel liefert Politikwissenschaftler Carlo Masala. Der 56-jährige Kölner ist Professor für Internationale Politik an der Münchner Universität der Bundeswehr und Experte für bewaffnete Konflikte.
WDR: Wird 2025 etwas spürbar Neues im Ukraine-Krieg passieren?
Prof. Carlo Masala: Es wird Bewegung reinkommen. Ob das allerdings dazu führt, dass dieser Krieg dauerhaft beendet wird, das steht momentan in den Sternen.
WDR: Vor ein paar Monaten haben viele noch gedacht, Trump werde der Ukraine jede Hilfe entziehen. Aber mittlerweile gibt es auch andere Stimmen. Könnte es ganz anders kommen, wenn Putin sich nicht auf Trumps Verhandlungsforderungen einlässt?
Professor Carlo Masala
Masala: Ja, viele haben argumentiert, dass Trump der Ukraine keine Waffenhilfe mehr geben wird. Und es gab auch Anzeichen dafür. Sein Vizepräsident JD Vance hat das sehr offen geäußert. Aber mittlerweile haben wir immer mehr Stimmen, auch die von Trump, die einsehen, dass man die Ukraine nicht opfern darf, weil letzten Endes dann Russland und in längerer Perspektive auch China als Gewinner dieses Konflikts dasteht. Von daher ist man gerade dabei, die Strategie anzupassen.
Ein Element der Strategie ist, dass Trump wohl geäußert hat, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine weitergehen. Und es ist nicht auszuschließen, dass wenn Putin sich nicht auf Gespräche einlässt, die Trump wohl irgendwann mal anbieten wird, wir hier eine kurzfristige Phase der Eskalation zur Deeskalation seitens der Trump-Administration erleben werden. Also genau das Gegenteil von dem, was Trump eigentlich im Wahlkampf angekündigt hat.
WDR: Also die Ukraine aufrüsten?
Masala: Ich glaube eher, dass es weniger um Waffen gehen wird. Also Waffen werden weiter geliefert. Aber Trump könnte versucht sein, die Russen über den Ölpreis an den Verhandlungstisch zu bekommen. Und da verknüpfen sich sehr schön der Ukraine-Konflikt und der Nahost-Konflikt.
Trump will diesen Nahost-Konflikt auch dauerhaft regulieren - und dazu braucht er unter anderem die Saudis. Wenn er die Saudis davon überzeugt, kurzfristig die Ölfördermengen in die Höhe zu treiben, dann sinkt der Ölpreis. Und es gibt zwei Staaten, die davon massiv betroffen wären: Iran und Russland. Und das wäre beides im Sinne von Trump.
WDR: Wir reden über Druckmittel und auch über das Wort Verhandlungen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt mittlerweile: Wir werden die besetzten Gebiete wohl nicht militärisch zurückbekommen, wir müssen diplomatisch ran. Wladimir Putin sagte diese Woche, er wäre offen für Verhandlungen, vielleicht mit der Slowakei als Vermittler. Glauben Sie, es wird im nächsten Jahr verhandelt?
Masala: Wir werden Ansätze von Verhandlungen erleben. Aber bei Putin muss man sehr genau hinschauen. Er sagt, die Slowakei wäre ein geeigneter Ort. Wenn er aber über seine Verhandlungsposition redet, dann redet er über die maximale Verhandlungsposition.
Es geht weiterhin darum, dass Russland alle Territorien behält, die es besetzt hält. Es geht weiterhin darum, dass die Ukraine demilitarisiert und denazifiziert wird. Und seitens Lawrows (russischer Außenminister, d. Red.) sehen wir, wie der Verhandlungsgegenstand wieder verbreitert wird. Laut Lawrow geht es auch um die europäische Sicherheitsarchitektur und um globale Fragen. Also sollten wir aus der Tatsache, dass Putin sagt, er könne sich vorstellen, in der Slowakei zu verhandeln, nicht ableiten, dass Putin verhandlungsbereit ist.
WDR: Was wäre denn wichtig, damit die Ukraine in möglichen Verhandlungen möglichst stark ist, um auch möglichst viele Bedingungen stellen zu können?
Masala: Wichtig wäre es, dass man die Ukraine dazu in die Lage versetzt, zumindest in den nächsten Monaten und Wochen nicht noch weiter Territorium zu verlieren. Wir sehen ja, dass die Ukraine zwei Probleme hat: Sie hat ein Personalproblem, also sie kriegt nicht genügend Soldaten rekrutiert. Auf der anderen Seite hat sie aber auch ein Problem, was das Material anbelangt. Also was die Munition anbelangt, gepanzerte Fahrzeuge und so weiter und sofort.
Wenn man hier Abhilfe schaffen könnte, dann könnte die Ukraine zumindest Gebiete halten. Und das wäre für Verhandlungen eine bessere Ausgangslage, als sie sich jetzt für die Ukraine darstellt.
WDR: Wird es da eine neue Bereitschaft in Europa geben? In Deutschland kommt nächstes Jahr eine neue Bundesregierung an die Macht.
Masala: Ich glaube, das hängt weniger von der Frage ab, welche Regierungen gerade an der Macht sind. Man darf nicht verkennen, die momentanen Regierungen lassen die Ukraine langsam ausbluten. Das muss man einfach so sagen. Das hängt aber auch sehr stark von der Verfügbarkeit des Materials ab. Da haben wir Europäer in den letzten zweieinhalb Jahren geschlafen, was die Produktion von Material angeht.
WDR: Und der deutsche Marschflugkörper Taurus? Wäre das ein Game-Changer, wenn die nächste deutsche Regierung diesen liefern würde?
Ein Bundeswehr-Kampfjet mit Taurus-Lenkflugkörper
Masala: Nein, kein einzelnes Waffensystem ist ein Game-Changer. Der Taurus wäre wichtig zur Zerstörung bestimmter logistischer Zentren in Russland und würde die russischen Streitkräfte schwächen. Aber er wäre kein Game-Changer. Außerdem ist die Frage, wenn der Taurus geliefert wird, in welcher Menge er geliefert wird. Es ist nicht so, dass drei oder vier Taurus das Blatt wenden würden. Da bräuchten sie schon 50 oder 60. Aber auch die würden das Blatt nicht wenden. Die würden es für Russland schwieriger machen, den Krieg weiterzuführen. Darum geht es bei der Taurus-Lieferung.
WDR: Wir denken nochmal ein Stück weiter in die Zukunft. Nehmen wir an, es kommt zu einem Waffenstillstand. Die Krux wäre dann, dass das Ganze auch nachhaltig ist und abgesichert wird. Wie erreicht man das?
Masala: Da werden momentan verschiedene Modelle durchgespielt. Die reichen von einer rein europäischen Absicherung, das heißt einer Absicherung durch europäische Truppen, bis hin zu einem Konstrukt, in dem die Vereinigten Staaten den Ukrainern nukleare Sicherheitsgarantien geben und Europäer dann mit ihren Soldaten und Soldatinnen das Ganze auf dem Boden in der Ukraine absichern. Da ist momentan sehr, sehr viel Bewegung drin.
Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Trump-Administration sich nicht - das hat sie auch deutlich geäußert - an einer Absicherung aktiv beteiligen wird. Diese Absicherung wird die Aufgabe der Europäer sein.
Die Frage ist aber, was die Europäer da machen sollen. Sollen sie eine möglicherweise demilitarisierte Zone überwachen? Oder sollen sie eine so robuste Truppe in der Ukraine aufstellen, dass die Russen die Ukraine, die nicht von ihnen besetzt ist, in Zukunft nicht mehr angreifen werden? Das sind alles relativ unklare Fragen - und damit sind auch sehr viele Probleme verbunden, die bislang noch nicht einmal in Ansätzen gelöst wurden.
Das Interview führte Robert Meyer.
Das Gespräch mit Carlo Masala lief im WDR am 28.12.2024 im WDR 5 Morgenecho. Für die Online-Fassung wurden das Gespräch gekürzt und sprachlich angepasst, ohne den Inhalt zu verändern.